Aequitas' Diarum: 12. Ingerimm 1010 BF

Aus Die Sieben Gezeichneten
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Nun, bevor ich fortfahre, ein kleiner Statusbericht: Ich musste zwar die heimelige Ruhe meines eigenen Schreibtisches in der vielfach verriegelten Schreibklause aufgeben, welche ich Arbeitszimmer nenne, aber ich denke, dass ich das Vergnügen habe, diese Zeilen an einem nahezu vergleichbar angenehmen Orte zu Papier zu bringen: Ich befinde mich im Gästezimmer des vielgerühmten Tarlisin von Borbra, befindlich in gleichnamiger Ortschaft. Die Geschehnisse, die mit diesem Ort in Zusammenhang stehen und die meinen Ereignishorizont der letzten Woche bilden, sind gelinde gesagt spektakulär und haben mich in eine kaum zu verleugnende Hochstimmung versetzt, jedoch möchte ich nicht vorgreifen. Für den Moment nur einige kryptische Andeutungen: Inkompetenz und Idiotie sind für mich nahezu unerträglich, jedoch werden sie durch Herrschaft, Wissen und Macht bei weitem wieder ausgeglichen. Ja, das soll in der Tat für den Moment genügen, denn nunmehr gilt es, die Geschichte an dem Punkte zu continuieren, an welchem ich den letzten Eintrag beendete. Sofern mich meine Erinnerungen nicht trüben, waren wir zu diesem Zeitpunkt gerade im Begriff, Gareth zu verlassen...

Zwei Tage dauerte die Reise inzwischen schon. Zwei Tage, die mir gezeigt hatten, dass ich einen kapitalen Denkfehler gemacht hatte, als ich zu dieser Reise einwilligte, ein Denkfehler, der sich Minute um Minute in zwei Begrifflichkeiten manifestierte: Pferde und von Streitzig.
Ja, ich gebe es unumwunden zu, das Reiten war nie meine Stärke, um ehrlich zu sein habe ich jedoch auch nie eine Berechtigung dazu gesehen, meine Kenntnisse in diesem Bereich zu vertiefen, warum auch? Auf dem Hinweg war ich gegen ein geringes Entgelt im Planwagen einer Karawane gereist und in der Stadt... Ein Magier der Al’Achami oder auch nur irgendjemand im Allgemeinen, welcher über eine gewisse Ausstrahlung, eine Aura der Macht verfügte, brauchte in den Straßen Fasars keine überdimensionierte Schlachtrösser, damit man ihm Platz machte. Ich möchte mich an dieser Stelle sogar zu der Hypothese versteigen, dass ein klarer Zusammenhang zwischen der Neigung dergleichen Getier durch die Stadt zu hetzen und eklatanten psychischen Mängeln, ergo der Wahrnehmung einer gewissen Minderwertigkeit besteht. Als Regel kann gelten: je größer die Minderwertigkeitsgefühle, desto stärker die erforderliche Kompensation, mit dem Ziel eine Art Statusausgleich zu erzielen und damit die negative Eigenwahrnehmung mehr oder weniger auszuschalten. Insbesondere sexuelle Motive erscheinen hier aus meiner bisherigen Forschungstätigkeit naheliegend, mit einem direkten Transfer bin ich ohne weitere empirische Daten jedoch vorsichtig.
Nichts desto trotz ein Ansatz, welcher durchaus einmal weitergedacht werden sollte, doch für den Moment lenke ich damit wohl nur von meinem eigenen Problem ab: Ich war unfähig ein Pferd zu führen. Man gab mir das folgsamste Tier, welches den anderen ruhig und unaufgeregt hinterhertrabte, aber alleine das andauernde Sitzen in dieser schrecklichen Haltung erschöpfte mich ungemein, schnell waren meine Beine wund- und meine Reisekleidung durchgescheuert.
Mit all dem hätte ich leben können, jedoch setzte es meine Position innerhalb des Gefüges unserer Reisegruppe herab, was an und für sich schon schlimm genug war, jedoch durch die Anwesenheit oben bereits erwähnten zweiten Denkfehlers nur umso schlimmer wurde: Zita von Streitzig.
Wenn Praios und Rondra eine Tochter gezeugt hätten, welche sich zur Herrin einer Domäne der Niederhöllen aufgeschwungen hätte; das Ergebnis hätte nicht schlimmer sein können. Aus mir unerfindlichen Gründen, erachteten diese Kinder Hesindianischen Scharfsinns, welche sich nur allzu gut hinter dem Throne „ihrer Majestät“ zu verstecken wissen, all das adelige Beraterpack, es als nötig, uns mit der Bürde dieser Begleitung zu strafen. Meine Theorie war, dass auf dieser Grundlage wohl einer beliebigen Dynastie des Mittelreiches eins ausgewischt respektive eine große Ehre erwiesen werden sollte, mit dem Ziel, irgendein fragiles Machtgleichgewicht wiederherzustellen. Ich kam leider nicht dazu, meine Neugierde zu befriedigen und sie danach zu fragen, was die konkreten Gründe waren, die uns die Freude ihrer Begleitung verschafft hatten, zu sehr war ich damit beschäftigt, mich im Zaum zu halten, sie nicht dazu zu bringen, Suizid zu begehen. Oder eine kleine Reise ins eherne Schwert anzutreten. Das waren meine Gedanken, als ich all meine Willenskraft forcierte, um ihre altklugen, dummdreisten, teilweise vollkommen sinnentleerten Kommentare zu übergehen. Der Name „von Streitzig“ war hier wohl Programm und sollten wir es hier mit einer repräsentativen Stichprobe dieser Familie zu tun gehabt haben, wäre dieses ganze Adelshaus im Sinne des derischen Friedens in der siebten Sphäre besser aufgehoben.
Schnell bemerkte ich, dass ich mit meinem immer schwerer zu zügelnden Überdruss gegenüber diesem Subjekt nicht alleine war. Yerodin und Sharim waren nahezu von Anfang auf meiner Seite und irgendwann gewann ich den Eindruck, dass selbst Leomar, ja selbst der göttergefällige aber nichts desto trotz herzensgute Hinterwäldler diese Frau am liebsten in der Gor ausgesetzt hätte.
Schneller als gedacht sollte sich schließlich auch eine Gelegenheit ergeben, dieses Problem ohne viel Federlesen oder große Worte zu beseitigen, denn, dem geographisch nicht unkundigen wird kaum entgangen sein, dass wir auf dem Landweg nach Fasar reisten und dafür eine Durchquerung aranischer Lande kaum zu umgehen war, was diesituativ positive Folge hatte, dass wir uns dem dortigen Zollregime zu beugen hätten, ein Vorgang, welcher auf geradezu schicksalhafte Weise die Chance bot, zuzuschlagen. Von Streitzig war schnell dabei, mit den Wachleuten Streit anzuzetteln, was zur Folge hatte, dass nach einigen Minuten erhitzten Debattierens über die Rechtmäßigkeit einer Kontrolle (bei den 24 Entitäten, sie wollten uns ja überhaupt nicht kontrollieren!), der wachhabende Offizier ihr und damit auch uns gegenüberstand.
In solchen Momenten bin ich froh, damals die vielen, vielen Wochen investiert zu haben, meinen Magierstab zu einem Spruchspeicher zu entwickeln. Es lief damals nicht alles perfekt und noch heute fühle ich mich meiner Waffe auf Grund einiger kleiner Fehler im Detail auf eine eher ungesunde Art und Wese verbunden und sehe mich nur schwer in der Lage, ohne ihn Zauber zu wirken (die Möglichkeit, dass dies triebstrukturelle Gründe hätte, habe ich bereits verworfen), jedoch gibt es sicherlich schlimmere Einschränkungen und in der Tat, in diesem Moment rettete uns der in weiser Voraussicht vor einigen Nächten am Lagerfeuer in den Speicher gewirkte, meisterhafte Bannbaladin vor von Streitzig, als ich dem Offizier, meinem guten alten Freund, um den Gefallen bat, diese augenscheinlich geistig verwirrte Frau ganz genau unter die Lupe zu nehmen und sie gegebenenfalls ins nächste Noionitenkloster bringen zu lassen. Möglichst diskret, aber das verstand sich ja von selbst.
An diesem Abend sah ich auch in Leomars Augen etwas aufflackern, was mich an Dankbarkeit gemahnte, ob er überhaupt mitbekommen hatte, dass es nicht gänzlich von Streitzigs Verschulden war, dass man sie abgeführt hatte? Grundsätzlich war es mir egal, die Hauptsache war, endlich diese Frau losgeworden zu sein, meine restlichen Begleiter kamen mir dagegen fast wie eine Versammlung der Bruderschaft der Wissenden vor.
Wie sich, um so näher wir der Grenze gekommen waren, gezeigt hatte, schien Sharim anscheinend nicht sonderlich glücklich darüber zu sein, wieder in seiner alten Heimat zu weilen und forcierte eine Route fernab jeglicher Zivilisation. Zu meinem Leidwesen, fürwahr, aber ich war zu diesem Zeitpunkt (ausnahmsweise) einer Streitigkeit gegenüber eher ablehnend gestimmt. So war wenigstens die Gefahr, dass Zita von Streitzig uns, so sie denn tatsächlich irgendwie in der Lage wäre sich loszueisen, wiederfinden würde, minimiert. Die Gründe hingegen, irgendeine Ehrenrührigkeit mit dem Vater, bei dem es sich meinem Verständnis nach um irgendeinen einflussreichen, mir jedoch unbekannten, aranischen Adeligen zu handeln schien, waren nicht gänzlich uninteressant: Anscheinend hatte dieser mit der Ausbildung seines Sohnes zur Sharisad, welche wohl für den gemeinen Mann eigentlich keine ehrenvolle oder auch nur geduldete Perspektive darstellte, ein Problem, woraus eine leicht wahnhafte Paranoia entsprang. Auch eine Neurose, der Allmacht der Vaterfigur durch eigene Leistungen zu entkommen schien denkbar, bei Gelegenheit würde ich versuchen, tiefergehende Nachforschungen anzutreten, aber dafür war dieser Wald wirklich nicht die beste Gegend.
Übergehen wir Leomars unglaublichen Fund einer Madablüte, deren Wirkung ihm nicht bekannt war und welche ohne mein beherztes Einschreiten fast unter den Stößel geraten wäre, ignorieren wir auch den Angriff der Harpien, welche Yerodin fast das Leben kosteten (selbstverständlich war es wiederum nur einer beherzten Paralyse meinerseits und der damit einhergehenden Invincibilität zu verdanken, dass ihm nicht alle Knochen im Leib zerschmettert wurden nachdem das Getier das Interesse an ihm verloren hatte) und vergessen wir all das schlechte Wetter und die zerstörte Kleidung, all den Matsch und Dreck (wenn es jemals einen Moment gab, in dem ich mir schwor, schnellstmöglich Magie-Macht der Überzeugung zu lesen und endlich den Saepefacta und den Accuratum zu lernen, dann jener) und fahren direkt mit unserer Ankunft in der Zivilisation fort, sofern man die Ansammlung von Häusern, in welche es uns verschlagen hatte, auch nur als Ausläufer einer solche titulieren sollte.
Alles, wonach es mir gelüstete, war an diesem Abend eine warme Mahlzeit und ein gutes Bett. Dass man mir selbst diese beiden, so kleinen, so bescheidenen Wünsche kaum zugestand, sehe ich bis zum heutigen Tage als außerordentlich gute Begründung, diese „Ortschaft“ mit einem sehr gut wirkendem Caldofrigo heiß und kalt-Artefakt (Niederhöllische Kälte) aus einer sicheren Entfernung zu vernichten und alle dort lebenden ihrem gerechten Ende zuzuführen, aber sei es drum, solange ich diesen Zauber nichteinmal Ansatzweise beherrsche, sind solche Gedankengänge müßig. Vielleicht später einmal.
Jedenfalls wollte man mich zu Beginn (im Namen der Gastfreundschaft!) wahrscheinlich in irgendeinem abgelegenen Stall einquartieren und mir einen, es ist schwer zu sagen ob vergiftet oder verbrannt riechenden, Eintopf anbieten. Mein Geld und die damit einhergehende Aufforderung nach bestmöglichem Quartier und einem frisch gerupften Hühnchen wurden mit blankem Hohn quittiert, man forderte mich gar auf, dass Tier doch selbst zu schlachten! Nach Schlachten stand mir in der Tat der Sinn, jedoch hielten mich meine Gefährten zurück und ich verzog mich zum naheliegenden Fluss, wusch mich und arbeitete mit finsterer Miene an meinem Tanz der Mada. Als ich zurück zum Schankraum der schummrig erleuchteten Herberge oder was sich als solche bezeichnen mochte kam, kam ich nicht umhin, eine Schale dieses widerlichen Eintopfes in mich hineinzuschlingen und richtete mich auf meinem (bei näherer Betrachtung doch einigermaßen akzeptablen) Zimmer im Obergeschoss ein und hatte nicht mehr vor es bis morgen zu verlassen. Mir war im Hinaufgehen noch aufgefallen, dass Sharim mit einer durchaus als attraktiv zu bezeichnenden, weißhaarigen jungen Dame an einem abgelegenen Tisch saß und augenscheinlich nicht unerfolgreich an einer neuen Eroberung arbeitete. Das musste ich mir beim besten Willen nicht ansehen. Ich brachte einige Gedanken zu Papier, meditierte ein wenig und legte mich dann früh zu Bett.
Mitten in der Nacht, ich hatte wohl kaum sechs Stunden geschlafen, weckte mich lautes Geschrei vom Nebenzimmer her, die Stimme ließ auf Sharim... und eine Dame schließen. Mein erster Zorn verflog schnell, als ich merkte, dass die Geräuschkulisse alles andere als angenehm wirkte. Aus Erfahrung heraus schloss ich Extase auf Grundlage von Schmerz schnell aus, warf mir meine Robe über und rannte ins Nebenzimmer, wo ich, vor einem offenen Fenster, einen vollkommen aufgelösten herniederliegenden Sharisad vorfand, der im leichten Fackelschein meines Stabes etwas zu blass wirkte. Ich sah noch einige Spinnen wegkrabbeln, als ich in absoluter Geistesgegenwart einen Klarum Purum auf ihn zu wirken begann, der das schlimmste zu verhindern wusste. Innerhalb weniger Sekunden bemerkte ich auch Leomar und einen betenden Yerodin neben mir, er flehte Pheqz an, dem Gebeutelten zu helfen. Phex. Interessant, darauf würde ich ihn noch einmal ansprechen müssen.
Nachdem Sharim wieder bei Bewusstsein war, musste ich ihm zuerst einige Minuten gezielt gut zureden, um ihn wieder in einen einigermaßen ansprechbaren Zustand zu versetzen. Augenscheinlich reichten Paranoia und Neurose nicht, er litt anscheinend auch noch unter einer akuten Arachnophobie. Ausgezeichnet, ich ritt also mit einem vollständigen Nervenbündel. Doch für Vorwürfe war meine Neugierde zu groß, schnell drängte ich ihn, uns darzulegen, was passiert war.
Die ansehnliche, weißhaarige Dame hörte auf den irritierenden Namen Achaz und schien eine Tochter Satuarias zu sein, darauf deutete zumindest ihre aus Sharims Erzählung klar hervorgehende Promiskuität und der Tatsache, dass sich während des Vorspiels eine Spinne aus ihrem Gewand wand hin, was Sharim selbstverständlich... unruhig machte, die vermeintliche Hexe als Beleidigung auffasste und unserem unseligen Zaubertänzer noch irgendetwas entgegen schrie, was er aber nicht verstand, bevor das Tierchen ihn biss und Achaz verschwand.
Selbstverständlich machten mich solcherlei Erzählungen neugierig. Ich hatte bisher nur aus Büchern von Hexen gehört, ein direkter Kontakt war mir bisher nicht vergönnt gewesen. Zwar war ich zur Zeit bereits gut ausgelastet, jedoch hätten mich genauere Kenntnisse der Funktionsweise ihrer Art und Weise Magie und insbesondere ihre legendären Flüche zu wirken überaus interessiert, selbstverständlich hätte ähnliches für den Besen und das Vertrautentier gegolten, welches in diesem Fall wohl ein Arachnid zu sein schien.
Eine Spinne... Das weckte jenseits aller satuarischen Zauberei noch gänzlich andere Assoziationen in meinem Geiste, als ich schließlich nach einer guten halben Stunde der Seelenheilkunde wach in meinem Bett lag. Gerüchte und flüchtige Erwähnungen eines unaussprechlichen Werkes schossen mir durch den Kopf, eines Buches, das unter den wenigen, die darüber schrieben, gemeinhin als „Arachnoides Almagest“ bekannt war. Die wenigen Anmerkungen, die ich bereits vor Jahren in einer Phase der geradezu fieberhaften Faszination der kleinen Achtbeiner, wie man sie nur aus seinen Jugendjahren kennen mag, gierig in mich aufgesogen hatte, versprachen einzigartiges Wissen: Zwar größtenteils von wahnhaft-obskuren Theorien der spinnengefälligen Weltdeutung durchzogen, sollten sich dort Thesen einiger Zauber finden, die insbesondere in ihrer arachnoiden Ausprägung einzigartig seien. Zwar verwies eine Quelle ganz am Rande in einem Nebensatz auf noch fantastischere Auswirkungen der Lektüre, die gelinde gesagt als... gewagt zu beschreiben wären, jedoch würden deren Darlegung meinen guten Namen in Frage stellen.
Wäre es jedenfalls denkbar, dass die Hexe über dieses Buch verfügte? Sie vielleicht sogar Autorin des Werkes wäre? Vollkommen absurde Gedanken, welche mich in einen unruhigen und viel zu kurzen Restschlaf voller riesiger Spinnen, über die lauter kleine Sharims tanzten, trugen.
Wir setzten unsere Reise gen Fasar am nächsten Morgen fort und mir gefiel die immer noch vorhandene Blässe im Gesicht unseres Sharisad überhaupt nicht. Auch die immer wieder aus den Augenwinkeln wahrzunehmenden kleinen Achtbeiner, welche den Eindruck erweckten uns zu folgen, ließen mich in einer angespannten Haltung zurück. Unsere Reiseroute führte uns über Wiesen und Felder, stündlich nahm das Getier, welches sich vor allem auf Sharim zu konzentrieren schien zu, der in der gleichen Zeit einen immer kränkelnderen Eindruck erweckte. Nein, das war verhieß nichts gutes.
Als wir schließlich gegen Abend bei leichtem Nieselregen in einen Wald ritten, befanden wir uns quasi auf der Flucht, so viele verfolgten uns inzwischen. Leider waren sie nicht nur hinter uns, auch in der Richtung unseres Rittes hatte sich eine immer dichter werdende, wuselnde, schwarze Masse zusammengefunden, jeder Huf, welcher einmal angehoben, auf den Boden hinabschnellte und uns somit unserem – immer noch mehrere Tage entfernten! – Ziel näher brachte, zog ein widerliches Knacken nach sich, die Pferde scheuten immer stärker und es war definitiv nicht meinen reiterischen Fähigkeiten zu verdanken, dass wir überhaupt vorankamen. Die Stimmung war gedrückt, immer wieder verirrten sich einzelne Spinnen auf die Rücken unserer Pferde, krochen unter unsere Kleidung und konnten nur mit Mühe und Not beseitigt werden, ohne aus dem Sattel zu stürzen. Das Lachen, was die acht winzigen, über den Körper streichenden Beine auslösten, war äußerst beklemmend, dass es sich bei Sharim immer wieder mit Angstschreien mischte, machte es nicht besser und... täuschte ich mich oder waren die Biester inzwischen nicht nur viel zahlreicher sondern auch deutlich größer als bei unserer Abreise aus dem verfluchten Dorfe? Was hätte ich jetzt nicht für eine Welle des Schmerzes oder auch nur eine Welle der Reinigung gegeben, aber ich war nun einmal ein Einfluss- und Herrschaftsmagier, für die Natur nun wirklich nicht geschaffen, aber das würde diese kleinen Monster nur peripher tangieren.
Das war im Groben der Moment, in welchem Panik angemessen schien. Wir trieben unsere Pferde zur Eile, ich versuchte das nunmehr von einigen größeren Schatten durchbrochene Gekreuch auf dem Boden durch gezielte Fulminictae (welch Verschwendung astraler Kraft!) und Schläge mit der Fackel des Magus zu zerstreuen, was von Pferderücken aus beileibe nicht einfach war und für kurze Zeit gelang es mir, sie auf Abstand zu halten, jedoch nie für einen sonderlich langen Zeitraum.
Es musste weit nach Mitternacht sein, Müdigkeit und Erschöpfung stand uns ins Gesicht geschrieben, als wir endlich eine kleine Höhle vorfanden, aus welcher ein Bächlein floss und in deren Inneren ein zu durchwatender See die Arachniden auf Abstand halten könnte. Wir fanden auf der anderen Seite des Sees auf einer kleinen Landzunge für einige Stunden Ruhe, wechselten uns mit der Wache ab und es gelang uns, zumindest ein wenig neue Kraft zu schöpfen. Trotzdem ließ uns die augenscheinliche Aussichtslosigkeit unserer Situation zweifeln. Sharim ging es schlechter und schlechter und draußen lauerte immer noch eine (zwar durch den nahenden Morgen dezimierte), aber doch immer noch viel zu große, wogende Masse kleiner Spinnenkreatuen. Es war Wahnsinn, aber wir mussten weiter. Was hatten wir für eine Wahl?
Wir ritten weiter so schnell wir konnten, trieben die Pferde an ihre Grenzen – Kaum vorstellbar, dass sie dieses Tempo die nächsten Tage durchhalten sollten- als wir irgendwann, ich hatte aufgehört, mich noch auf die Zeit zu konzentrieren, dem Licht nach zu schließen, musste bereits nahezu ein halber Tag vergangen sein, an einen See kamen, fast schon malerisch an einer Lichtung gelegen, doch zur angemessenen Würdigung dieses Ortes fehlte mir gerade jede Kraft.
Plötzlich vernahmen wir ein Knistern und Knacken im Dickicht der gegenüberliegenden Seite des Waldes, als bräche etwas mit brachialer Gewalt durch das Unterholz. Ich hatte einen Verdacht und obwohl ich mir selten derartig stark gewünscht hätte, falsch zu liegen, wurde er vollumfänglich bestätigt: Waldspinnen.
Wir setzten uns buchstäblich mit Zähnen und Klauen gegen dieses monströse Getier, welches in Begleitung von Myriaden seiner kleinen Anverwandten zum Angriff blies zur Wehr, doch letztlich schien nur noch ein Rückzug in das hüfthohe, klare, aber eisige Wasser des Sees zu helfen. Ich musste den am Rande zur Ohnmacht stehenden Sharim fast ziehen. Wir waren an den Rand gedrängt und sahen uns schon so gut wie tot, doch plötzlich war etwas am Himmel zu sehen. Im ersten Moment dachte ich an die weißhaarige Hexe und nahm in Gedanken bereits meine letzten Kräfte für einen Somnigravis Ohnmacht auf Reichweite zusammen, als die – tatsächlich – Gestalt auf einem Besen näher kam und ich sah, dass es sich hier definitiv nicht um die junge Dame handelte, derer wir das gegenwärtige Miserere augenscheinlich zu verdanken hatten.
Diese Hexe war älter, vielleicht 50 Götterläufe und legte sich direkt mit den riesenhaften Waldspinnen an. Ein Kater an ihrer Seite vertrieb mit scharfen Krallenschlägen die kleineren Artgenossen.
Befremdlich fürwahr, doch kann man nur schwer leugnen, dass ich in diesen Momenten, in denen wir gleich Opfern eines blutlüsternen Nagrachpaktierers gehetzt und in die Ecke gedrängt worden waren, für diesen Beistand eine gewisse Dankbarkeit empfand.
Als die Waldspinnen getötet waren (hier sollte man auch den Wahnwitz Leomars nicht unterschlagen, welcher sich im Angesicht der unverhofften Unterstützung auf sein Pferd schwang und zu diesem lächerlich überdimensionierten Spieß griff, welcher eine dieser Bestien gleichwohl mit bemerkenswerter Präzision zu durchbohren wusste) und langsam Ruhe einkehrte, wir aus dem Wasser wateten und uns erschöpft ins viel zu kalte Gras fallen ließen (es fällt mir immer noch schwer, mir diese Vergewaltigung meiner Reisekleidung zu verzeihen, aber mit Saepefacta und Accuratum sollte das nun doch besser werden), klärte die ältliche, aber trotzdem würdevoll wirkende Hexe uns auf.
Luzelin, wie die Satuaria-Tochter sich nannte, mochte die weißhaarige Achaz nicht. Man könnte die beiden sogar als Erzfeindinnen bezeichnen, die Gründe hierfür ließ sie allerdings offen (dass ich nicht näher nachhakte ist alleine meiner Erschöpfung zu verdanken gewesen). Das Offensichtliche in Worte kleidend, wies sie uns darauf hin, dass Sharim wohl nicht mehr lange zu leben hätte. Jedoch sei sie in der Lage, ihm zu helfen, Gift und, wie sie bestätigte, Hexenfluch, zu vertreiben, alles was wir tun müssten, wäre ihr einige Zutaten für einen Trank zu bringen, wie sie ausführte, während sie an ihrem Rucksack herumnästelte und einen kleinen, geradezu stereotyp-rostigen Kessel hervorzog. Schnell brannte ein Feuer und wir sahen uns genötigt, so wir denn ein Fortleben Sharims gewährleisten wollte, Luzelin Fledermausaugen und andere Köstlichkeiten zu bringen. Es hat seinen Grund, dass ich der hohen Kunst der Alchimie gegenüber stets eine gewisse Skepsis an den Tag legte.
Wir waren zu äußerster Eile angetrieben, niemand konnte sagen, wie lange es dauern würde, bis Achaz auf unsere missliche Situation aufmerksam werden würde, um das Problem, welches sie ja anscheinend mit Sharim und damit notgedrungen auch mit uns hatte, selbst zu lösen. Selbstkritisch angemerkt: Ich bin durchaus ein Mensch, der dazu neigt, offene Rechnungen zu begleichen, Herabsetzungen der eigenen Würde... kritisch zu diskutieren und dabei auch das eine oder andere Mal ein wenig über die Stränge schlagen mag, aber ich hätte ganz gewiss besseres zu tun, als denjenigen, der mich (zudem aus psychopathologischem Grunde!) von der Bettkante gestoßen hatte, mit einem Fluch zu belegen, zu vergiften und ihn, sowie seine unschuldigen Gefährten (zu denen sich auch eine außergewöhnliche Koryphäe der arcanen Künste zählt) von zyklopischen Arachniden zu Tode hetzen zu lassen (zum Beispiel den Caldofrigo lernen, um ein Dorf zu vereisen... gut, das war tendenziell überreagiert)!
Durch mein außergewöhnliches Gedächtnis, mein profundes Wissen zur Tier- und Pflanzenwelt und die zumindest rudimentären Alchimiekenntnisse (irgendetwas bleibt immer hängen), Leomars passable Kräuterkunde, sowie... Yerodin hatten wir die benötigten Zutaten (anscheinend war das Rezept an einigen Stellen stark substituiert und den örtlichen Gegebenheiten angepasst worden) bereits nach nicht einmal drei Stunden zusammen.
Leise vor sich hinmurmelnd mischte Luzelin die Ingredienzien zu einem sich bei der Zugabe jeder neuen Zutat beunruhigend verfärbenden Gebräu, welches sie schließlich nach einer halben Stunde Sharim einflößte, der – ganz plötzlich und eben noch still herniederliegend – hustete, sich aufrichtete und uns anblickte. Er wirkte soweit gesund, einzig beunruhigend an ihm war, dass seine Augen einen äußerst irritierenden Glanz ausstrahlten: Seine Pupillen hatten sich widernatürlich geweitet und die Iris leuchtete geradezu in einem violetten Schein in der inzwischen aufgezogenen Dunkelheit.
Er blickte durch uns alle hindurch und fokussierte anscheinend etwas im Wald hinter uns.
„Sie kommt.“, sagte er mit einer, wie von Trance, schweren Stimme. Wie auf ein Zeichen hörten wir ein dumpfes stampfen aus dem Wald.
Brom.
Brom.
Brom.
„Ihr Vertrauter.“, fügte er hinzu.
Ein geiferndes Maul zeigte sich im flackernden Fackellicht der Flamme meines Stabes. Zwei Kieferzangen klackten, acht Beine krachten durch das Unterholz und hinter einer von befremdlichen, dünnen Fell überzogenen Kugel von mehr als anderthalb Schritt Durchmesser erkannte man einen Stachel, der an den tödlichen Stich eines Wüstenskorpions gemahnte.
Eine Maraskantarantel. Dieses Biest hatte eine verdammte Maraske zum Vertrauten.
Ich weiß nicht wie es uns gelang, Yerodin schoss aus sicherer Distanz mit der Armbrust, Sharim, der durch eine geradezu unheimliche Intuition in der Lage war, dem Wesen auszuweichen und ihm immer neue Hiebe mit den Krummsäbeln zu versetzen, tanzte und wich jeden Angriff von Stachel oder Maul geschickt aus, Luzelin... spuckte (und ich hatte den Cantus Hexengalle immer nur für eine lächerliche Fantasie gehalten) und ich, ja ich schwang mich, irgendwelchen Grillen folgend, zusammen mit Leomar, der seine Lanze anlegte, auf sein Pferd, hielt mich und im gleichen Moment den Stab so fest es ging und verschleuderte meine Astralkraft, was das Zeug hielt. Irgendwann merkten wir, dass sich das Glück zu unserem Gunsten wendete. Die Bewegung der Maraske wurden langsamer und eine widerwärtige Flüssigkeit floss aus einer Vielzahl von kleinen und größeren Wunden.
Irgendwann sahen wir eine Gestalt, deren Silhouette sich vor den Mond schob, anfangs klein und dann größer werdend, dabei seltsame, hochfrequente Geräusche ausstoßend, die im Hirn wiederhallten und Kopfschmerz verursachten. Wieder wollte ich gerade meinen Somnigravis Ohnmacht auf Reichweite vorbereiten, da bemerkte ich, dass sie garnicht zu kämpfen gedachte! Die Tarantel zog sich ob des infernalischen Lärms vom Himmel schnellen Schritts zurück und auch die Urheberin des befremdlichen Gesangs war, stets auf Distanz bedacht, schnell verschwunden.
Spinnen waren keine mehr zu sehen.
Wir waren am Leben. Wir hatten gesiegt.

Nun, ich denke, dass das wohl für den Moment ausreichend sei. Ich gebe zu, einige Fakten im Hinblick auf die Dramaturgie minimal angepasst zu haben (selbst mein Gedächtnis ist zudem, leider, nicht vollkommen perfekt). Trotzdem, an der Klimax und insbesondere an der Beschreibung derartiger Kampfsituationen muss ich weiter arbeiten. Trotzdem: Es wird.


16. Peraine 1010 BF 13. Ingerimm 1010 BF