Aequitas' Diarum: 20. Ingerimm 1010 BF

Aus Die Sieben Gezeichneten
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Khunchom. Endlich einmal wieder hier. Es ist schon einige Jahre her, dass ich zuletzt den Weg zu den phexischen Krämerseelen der hiesigen Akademie einschlagen musste. Zwar würden sie jedem dahergelaufenen Geldsack die Geheimnisse tulamidischer Magie verraten, aber das lassen sie sich immerhin etwas kosten. Und ist nicht die Artefaktmagie zu gar vielfältigen Wundern fähig, die theoretisch in der Lage wären, das Leben der Menschen zu erleichtern? Nun, das soll wohl, sofern ich mich nicht verschätze, Thema des nächsten Kapitels sein. Für den Moment habe ich mich für die Gaukeleien, welche heute Abend stattfinden werden, angemessen stilvoll gekleidet und mit etwas Glück treffe ich ja einen guten Freund wieder...

Vergessen seien all die Demütigungen dieser Reise! Von Streitzig: Aus meinen Erinnerungen getilgt. Hetzjagden wildgewordener Spinnen? Mein Gedächtnis ist leer. Luzelin wieauchimmer und Achaz ibn wasweißich? Haben nie existiert! Zugegeben, große Entbehrungen lagen hinter mir und ich möchte nicht in Abrede stellen, dass auch der eine oder andere meiner Gefährten unter Umständen schon einmal bessere Tage gesehen hat, aber sei es drum: Als unsere Pferde nach Tagen des Weges den Gipfel eines Hügels, über welchen die Straße (die uns Sharim zu nutzen gnädigerweise wieder erlaubt hatte) führte, erklommen hatte, lag sie vor mir. Die Mutter aller Städte. Fasar. Die Sonne hatte ihren Zenit bereits vor Stunden überschritten und tauchte die Lehmbaracken und Sandsteinbauten, die Zeltstadt und die Elendsviertel, die Aburjas und nicht zuletzt die mächtigen Türme der Al’Achami nun in ihr rötliches Licht. Es gab keine Stadtmauern – Zwar bezweifle ich, dass es nach all den Jahrhunderten noch irgendjemanden gekümmert hätte, wenn wir sie wieder errichtet hätten, aber wir hatten es nicht nötig. Wieso sollten wir auch? Wer hätte diesen Moloch schon erobern wollen? Und selbst wenn: Mochten sich die Herrscher unserer anmutigen Kapitale auch noch so sehr zerfleischen, während sich der normale Bürger mit gesenkten Kopf möglichst unauffällig herauszuhalten versuchte, im Ernstfall hätte es ein Usurpator innerhalb kürzester Zeit mit 10 000 gut bewaffneten Gegnern zu tun gehabt, die in ihrem Leben in Fasar gelernt hatten, wie man sich zur Wehr setzt. Und zwar nicht auf die rondragefällige Art.
Ich genoss es ungemein, endlich wieder hier zu sein. Wie lange hatte ich diesen Anblick herbeigesehnt? Gewiss, ich hatte aus einer moralischen Perspektive heraus sicherlich allen Grund, die faulende Oligarchie, welche diese Stadt bereits seit ich zu Denken begann, fest in ihrem Griff hatte, aus tiefstem Herzen abzulehnen, aber ein gewisses Lokalkolorit und die immer wieder bemerkenswert fantasievollen Exekutionstechniken für allzu freidenkerische Nandusgläubige und –Geweihten, sowie die Tatsache, dass einer der angesprochenen Oligarchen zufälligerweise mein Lehrmeister war, ließen mich an der Situation wie sie war einfach kaum etwas schlechtes finden. Ich mochte diese götterverdammte Kleptokratie einfach. Insbesondere, da ich mir sicher sein konnte, dass jeder meiner Gefährten innerhalb von 2 Minuten und 46 Sekunden tot sein würde, wenn ich ihnen nicht die Grundregeln erklärte, wie Fasar funktioniert. Ich war wieder zu Hause!
Gut, ich gebe zu, dass ich den Aufwand, denn dieses Gänsehüten mit sich führte, für meinen Geschmack doch entschieden zu hoch war, was dazu führte, dass ich meine höchstgeschätzten Freunde hin und wieder alleine die Stadt erkunden ließ, was, wie sich herausstellte, keine allzugute Idee gewesen war. Sie schafften es natürlich, sich Ärger einzuhandeln und mussten es sich dabei nicht nur mit dem Wesir eines Erhabenen, sondern ebenso auch noch mit einer von mir hochgeschätzten Collega verscherzen, indem sie sie bei ihren Experimenten störten.
Tatsächlich möchte ich diese Kleinigkeiten an dieser Stelle wie bereits im letzten Eintrag versprochen nicht weiter ausführen. Eine peinliche Misere voller Neid, Missgunst und Verwirrungen wäre zu explizieren, danach steht mir nach den zuletzt geschilderten Ereignissen wirklich kein Sinn.
Ich für meinen Teil nutzte die Zeit jedenfalls angemessen: Einerseits um mein Vademecum fortzuführen und mich andererseits mit einem alten Kommilitonen und Freund zu treffen, denn mir war auf der Reise, die mir nun mehr als genug Zeit zum Nachdenken geboten hatte, eine Idee gekommen. Im Rahmen des zugegebenermaßen für meinen Geschmack etwas zu naiv-plakativen Credos der Tsa-Kirche „Jeden Tag eine gute Tat!“, nutzte ich diese Gelegenheit nicht nur, um seine ausstehenden Gebühren für die überzogene Nutzung von Leihbüchern aus einer der Akademiebibliotheken zu zahlen, sondern ihn auch noch gleich aus einer Rauschkrauthöhle herauszuziehen, in welcher er anscheinend inzwischen einen Großteil seiner Zeit verbrachte. Denn ja, Sahibilius sah wirklich nicht mehr sehr gut aus als ich ihn traf. Und nein, das passte mir überhaupt nicht im Angesicht dessen, um was ich ihn bitten wollte. Nach einer magischen Ausnüchterung, einem guten Tee und der einen oder andere sanften Ohrfeige in Kombination mit den richtigen Worten (wofür war ich gleich Seelenheilkundiger?) konnte man den Sachverhalt wieder gänzlich optimistisch betrachten. Ich hatte ihn nicht nur davon überzeugt, sein fragwürdiges Arbeitsverhältnis zu beenden (er stand als Lohnmagier zufälligerweise genau in Diensten des Wesirs, mit welchem meine Gefährten in Kalamitäten kommen mussten) und sich stattdessen endlich wieder auf seine Forschung zu konzentrieren. Ich gab ihm auch etwas, was Grundstein dieser Forschungen sein sollte: Mein Szepter aus der Garether Akademie. Denn Sahibilius war nicht irgendjemand: Er war Magiehistoriker und zwar ein ungemein talentierter. Spezialisiert auf das diamantene Sultanat wäre er ohne Zweifel in der Lage, mehr über dieses Kophtanische Artefakt herauszufinden. Da ich wusste, dass seine magischen Analysefähigkeiten sogar noch unter den meinigen anzusiedeln waren, konnte ich auch davon ausgehen, dass er mir an wirklich wichtigen Details, die eine Recherche der historischen Quellen nicht zu Tage bringen würden, keinerlei Reputation stehlen könnte.
Neben diesen persönlichen Erfolgen verbrachte ich den Großteil meiner Zeit, sofern ich nicht gerade Leomar, Sharim und Yerodin davon abhalten musste, auf offener Straße getötet zu werden, was für meinen Geschmack etwas zu häufig passierte, in der Akademie. Einerseits hatte ich dort ernüchternder Weise direkt den Auftrag bekommen, das Weiße Auge nach Khunchom zu bringen, aber bitteschön: Das machte es mir immerhin leichter, dieser Mittelreichischen Meute mit ihrem so vielgerühmten, legendären Schwert zu helfen. Andererseits widmete ich die reichliche Menge Zeit, die mir nun zur Verfügung stand, primär dem Studium in einer der zahlreichen Bibliotheken der Akademie. Die meisten waren im Privatbesitz der Magister, andere einfach nur sehr gut versteckt, doch nach 19 Jahren an der Al’Achami war ich mir relativ sicher, den Zugang zu gut 90% von ihnen erschlossen gehabt zu haben. Zwar war kaum vorstellbar, was sich unter Umständen in den restlichen 10% befinden könnte (so wusste ich zum Beispiel, dass Thomeg Atherion über insgesamt drei Bibliotheken verfügte, hatte aber selbst zu gerade einmal einer Zutritt – und ich war über Jahre sein Privatschüler) , aber mir stand wohl auch so ausreichend hochspannende und seltene Literatur zur Verfügung, die ausreichen würde, von einer normalen Lebensspanne ausgehend, mich bis ich Golgaris Schwingen vernähme, zu beschäftigen.
Zwei Werke standen im Zentrum meiner Lektüre: Einerseits „Magie – Macht der Überzeugung“, eine kleine Flugschrift von vielleicht 50 Seiten, die ich bereits seit geraumer Zeit zu lesen vorgehabt hatte, was mir aber insbesondere in Bezug auf die beschwerliche Reise der letzten Wochen inzwischen als absolut überlebenswichtig erschien: Versammelte diese Publikation einerseits zahlreiche, überaus unterhaltsame Hinweise, wie es gelänge, die Karte der magischen Begabung, wenn man sie so nennen möchte, in einem Gespräch auszuspielen und damit sein Gegenüber von gleich welcher Idee zu überzeugen oder gar mit dem dem Magier von Natur aus eigenen Esprit zu verführen, so waren die dort niedergelegten Thesiskerne andererseits reines Arkanium: Sehr gute Darlegungen zum Reflectimago (als Besitzer eines Spiegels für mich primär uninteressant, andererseits kamen mir jedoch einige amüsante Zweckentfremdungen des Cantus in den Sinn, so man ihn denn meisterlich beherrschen würde), eine hübsch lesbare Thesis des Accuratum, für den ich mich schon seit geraumer Zeit interessierte (das Schneiderhandwerk an und für sich ist mit dem Standesdünkel des Magus ja ansonsten nur schwer vereinbar), sowie die beiden Zauber, die mich letztlich überzeugten, mir eine Komplett-Abschrift dieses anfertigen zu lassen: Der Pectetondo Zauberhaar und der Sapefacta Zauberschwamm. Keine Besuche in der Reinigung oder beim Friseur und insbesondere kein zerlumpter, abgekämpfter Auftritt vor wem auch immer, nachdem man sich gerade durch einen götterverfluchten Wald gekämpft hat.
Das zweite Buch, welches mich alleine auf Grund seines Umfangs, der dem zehnfachen der ersteren entsprach, den überwiegenden Teil der Zeit beschäftigte, entstammte dem immensen Fundus philosophischer Literatur, dessen sich die Al’Achami rühmen durfte und war mir von einem Bekannten empfohlen worden, der um mein Interesse an den Aufsätzen Rashman Alis wusste und es durch Zufall entdeckt hatte. Es trug den Titel „Die Chroniken von Ilaris oder Mensch sei nicht so ängstlich!“, was mir im ersten Moment gar nichts sagte. Stirnrunzelnd begann ich zu lesen , doch bereits nach kurzer Zeit hatte mich dieses Werk fest in seinem Griff, denn es erinnerte schon seinem Aufbau nach stark an den Stil Rashman Alis: 20 Dialoge zwischen einem gewissen Ilaris und verschiedenen Jüngern: Über das Wesen Deres, die Götter allgemein, das zwölfgöttliche Pantheon oder die Geschichte des Namenlosen im Speziellen, die Magierphilosophie, etc.. Ohne Zweifel, der Autor dieses Werkes, ich ging davon aus, dass es sich wohl um den namensgebenden Ilaris oder einen Schüler handelte, hatte die Ansätze Rashman Alis brillant zu Ende gedacht. Die Konsequenz und Drastik, mit welcher jedoch letztlich als Ergebnis der Argumentation des Buches eine Form der „nandusgefälligen Dämokratie“ zu Gunsten der Gleichheit aller gefordert wurde, ließ mich schlucken: Gewiss, mit einer nicht zu verleugnenden Halbherzigkeit waren auch all meine Gedankengänge früher oder später an diesem Punkt angelangt, aber es so deutlich, schwarz auf weiß, vor den eigenen Augen zu haben, brachte mich doch zum Nachdenken. War es nicht heuchlerisch, sich hier in das Studium alter Folianten zu vertiefen, während Sklaven mein Essen zubereiteten und Menschen in der Stadt ausgeraubt, gefoltert und getötet wurden? In solchen Momenten des Zweifels verdammte ich mich manchmal dafür, jemals damit begonnen zu haben, Philosophie zu treiben, denn dieser innere Konflikt hielt mich die Nächte wach. Irgendwann gelang es mir, eine gewisse Distanz zu dem Problem aufzubauen. Nur weil etwas in der Theorie richtig sei, hieß das ja noch lange nicht, dass man es auch in der Praxis umsetzen konnte. Dämokratie in Fasar? So schnell wohl eher nicht. Trotzdem, am Grundwiderspruch änderte das nichts. Überhaupt: Widersprüche, Widersprüche, Widersprüche....
Nach einigen Tagen machten wir uns wieder auf den Weg gen Khunchom. Körperlich hatte ich mich in meiner Heimat erholt, geistig fühlte ich mich jedoch eher ausgelaugt.

Tatsächlich, ich habe mich einmal kurz gefasst. Gut, ich muss nun ohnehin los, mal sehen, wann ich wieder einige Zeilen zu Papier bringen kann.


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