Aleyas Reise zu den Himmelswölfen

Aus Die Sieben Gezeichneten
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Im Abenteuer Sphärenrisse folgt Aleya der seltsamen Melodie im Limbus. Nacladaria folgt ihm. Sie landen an einem fremden Ort...

Aleya und Nacladaria finden sich in einer kalten, unwirklichen Schneelandschaft wieder. Dichter Nebel lichtet sich langsam, und aus allen Richtungen wirbeln Schneeflocken umher. Die Landschaft wirkt verzerrt, als ob sie durch schmutziges Glas betrachtet würde, doch die eisige Kälte ist real und durchdringt ihre Kleidung. Aleya ist im Körper eines Wolfes. Er hat die Sinneswahrnehmungen des Wolfes, spürt seine Muskeln und Instinkte, ist aber dennoch bei vollem Bewusstsein und weiß, wer er ist. Nacladaria sieht den großen Grauwolf neben sich und erkennt instinktiv, dass es Aleya ist, ist aber doch beunruhigt vom Anblick seiner gewaltigen Fänge.

Aleya empfindet eine seltsame Vertrautheit mit seiner neuen Gestalt, doch er weiß nicht, warum er hier ist. Er erinnert sich vage an eine Art „Ruf“, dem er gefolgt ist, doch dieser ist nun verschwunden. In der weiten Ebene gibt es wenig Orientierungspunkte: Zur Rechten erheben sich schneebedeckte Hügel mit vereinzelten Bäumen, zur Linken erstreckt sich eine offene Fläche. Da sie keinen klaren Anhaltspunkt haben, beschließen sie, den Hügeln zu folgen. Nacladaria kämpft sich mühsam durch den Schnee, und die anhaltende Kälte erschöpft sie. Sie wirkt einen kleinen Zauber, um sich etwas aufzuwärmen, doch er schützt sie nur für kurze Zeit vor der eisigen Witterung. Bald schon werden ihre Lippen taub, ihre Fingerspitzen gefühllos. Aleya entscheidet sich, voraus zu gehen und nach einem Unterschlupf zu suchen. Schließlich entdeckt Aleya eine kleine Erhebung mit einem felsigen Überhang – kein perfekter Schutz, aber zumindest besser als die offene Schneefläche. Nacladaria folgt ihm mühsam und sammelt auf dem Weg Zweige und Nadeln, um ein Feuer zu entfachen. Es gelingt ihr, mit Magie die feuchten Äste in Brand zu setzen. Sie setzen sich eng beieinander an die geschützte Felswand, um sich so gut es geht warmzuhalten. Aleya legt sich dicht an Nacladaria, um ihr mit seinem Pelz zusätzliche Wärme zu spenden.

Während sie auf das Nachlassen des Sturms warten, durchsucht Nacladaria ihre Ausrüstung und findet ein kleines Messer sowie ein Stück Dörrfleisch. Sie teilt es mit Aleya. Aleya denkt darüber nach, eine magische Reise mit seinem Geist zu unternehmen, um die Umgebung zu erkunden, doch er spürt, dass es in seiner Wolfsform seltsam schwierig ist, sich auf Magie zu konzentrieren. Stattdessen nutzt er seine feinen Sinne, um die Luft zu prüfen – und stellt fest, dass der Sturm bald nachlassen wird. Als sich das Wetter beruhigt, setzen sie ihren Weg fort.

Dann wittert Aleya andere Wölfe. Ein fremdes Rudel bedeutet eine mögliche Herausforderung. Sein Körper spannt sich an. Bald darauf erscheint ein einzelner Wolf, der sich ihnen in einem herausfordernden Gang nähert. Er ist ein kräftiger, erwachsener Wolf, jedoch kleiner als Aleya. Er betrachtet ihn mit einer Mischung aus Misstrauen und Arroganz, stellt sich demonstrativ auf eine kleine Erhebung und stößt ein forderndes Bellen aus – eine klare Aufforderung, das Territorium zu verlassen. Aleya macht jedoch keine Anstalten, sich zurückzuziehen. Er baut sich auf und zeigt durch seine Körpersprache, dass er nicht gewillt ist, sich zu unterwerfen. Der fremde Wolf reagiert mit einem Scheinangriff, den Aleya erwidert. Doch er spürt noch eine leichte Unsicherheit in sich, die der fremde Wolf sofort ausnutzt, um zuzubeißen. Statt sich in den Kampf zu stürzen, hebt Aleya den Kopf und stößt ein mächtiges Heulen aus. Ein Windstoß fegt über die Ebene, Vögel flattern erschrocken aus den Bäumen, und der fremde Wolf duckt sich instinktiv in den Schnee. Er senkt schließlich den Kopf und zeigt seine Kehle – eine Geste der Unterwerfung.

"Ich wusste nicht, dass du Graufang bist", sagte er. Dies überrascht Aleya und Nacladaria gleichermaßen. Der Wolf stellt sich als Garmok vor und bittet um Hilfe – sein Rudel steht vor einer Herausforderung. Die Menschen und die Wollnashörner haben einen Wettstreit ausgerufen, um eine langjährige Rivalität zu entscheiden. Sie halten ein Rennen ab. Menschen haben sich für einen Wolf als Vertreter entschieden, die Wollnashörner für einen Falken. Aleya begreift allmählich, dass er sich in einer Geschichte wiederfindet, die ihm seltsam vertraut vorkommt, als hätte er sie unzählige Male gehört. Doch nun, da er sie erlebt, fühlt es sich an, als müsse er die richtigen Entscheidungen treffen.

Aleya und Nacladaria erwägen verschiedene Tricks, vom Einsatz von Magie bis hin zu Täuschungsmanövern, um das Rennen für sich zu entscheiden. Sie wollen ihn mit einem Windstoß im Rücken schneller laufen lassen. Gleichzeitig soll er sich für einen Moment im hohen Gras verbergen und durch eine Illusion erscheinen lassen, als sei er an zwei Orten zugleich. Das Rennen beginnt. Der Falke erhebt sich in die Lüfte, während Garmok losrennt. Dann erhebt sich ein mächtiger Windstoß, der durch das hohe Gras fegt. Die Zuschauer sehen nur, wie das Gras aufgewühlt wird, als sich eine Gestalt blitzschnell auf das Ziel zubewegt. Der Falke scheint für einen Moment durch den plötzlichen Windstoß desorientiert zu sein. Aleya alias Graufang spürt, wie sich seine Kraft auf entfaltet und er von einem unaufhaltsamen Jagdfieber ergriffen wird. Der Wind trägt ihn voran, schneller, als er je gelaufen ist. Dann, im entscheidenden Moment, schnappt Aleya sich das Tuch und beendet das Rennen als Sieger.

Der große Wettlauf

Vor langer Zeit, als Menschen und Wölfe in Freundschaft lebte, da gerieten das Wollnashorn und der Mensch darüber in Streit, wer der größere Jäger war und den anderen jagen sollte, und wer sich mit Gras begnügen musste.

Sie beschlossen, den Streit mit einem Wettlauf zu besiegeln, bei dem jeder einen Vertreter wählen durfte, der für ihn das Rennen laufen sollte. Das Rennen sollte über die Tundra gehen, bis zu einem großen bunten Stück Stoff, dass in einiger Distanz an einem Stock befestigt wurde. Der Mensch wählte seinen Freund, den Rauwolf, für die Jagd, denn er ist der schnellste unter den Läufern auf der Erde. Das Wollnashorn jedoch lachte und wählte den Sturmfalken. Das erzürnte den Mensch, denn ein Vogel war nicht, was er im Sinne gehabt hatte. Da berieten sich der Mensch und der Wolf, und der Wolf sprach zu den Wolfsgeistern, und die berichteten Garjouan von dem Geschehnis. Und Garjouan kam herab, pirschte sich an das bunte Tuch heran und ergriff es mit seinem Maul, ohne dass jemand ihn bemerkte.

Dann begann das Rennen. Der Sturmfalke und der Rauwolf machten sich bereit, und auf einen lauten Ruf stoben sie beide davon. Der Wolf rannte so schnell ihn seine langen Beine trugen, doch der Falke in der Luft war noch schneller als er. Gajouan jedoch war ebenfalls davon gerannt, und so sehr sich der Falke auch bemühte, das Ziel wollte und wollte nicht näher kommen, denn mit jedem Flügelschlag, den er sich näherte, machte Garjouan einen Satz und trug es noch weiter fort. Nun wurde aber mit der Zeit der Falke müde, der Rauwolf hingegen war noch voller Kraft, denn er konnte tags und nachts laufen ohne zu ermüden. Und so fiel der Falke zurück, und der Wolf übernahm die Führung. Da ließ Garjouan das Tuch im Gras der Tundra liegen und schlich davon, und niemand konnte ihn sehen, der Rauwolf aber erreichte das Tuch als Erster und errang den Sieg für die Menschen.

Seither essen die Wollnashörner Gras, und obwohl sie größer und stärker sind, werden sie von den Menschen und Wölfen gejagt.

Die Landschaft verschwimmt um ihn herum. Er spürt, dass er sich auf einer Schwelle zwischen Realität und einer anderen Existenzebene bewegt. Dann, ganz plötzlich, löst sich die Umgebung auf, und er findet sich mit Nacladaria in einer neuen Szenerie wieder. Sie stehen in einem kleinen, warmen Zelt, in dessen Mitte ein Feuer brennt. Vor ihnen sitzt eine alte Frau mit wettergegerbtem Gesicht und Holzperlen im Haar. Neben ihr ruht ein großer Hund oder Wolf, der misstrauisch zu Aleya hinüberschaut. Die Alte mustert ihn mit schmalen Augen und zischt: "Hinfort, böser Geist! Ich habe dich nicht gerufen!"

Aleya ist verwirrt. Er versucht, sie zu überzeugen, dass er kein Geist ist, sondern wirklich Graufang. Doch sie bleibt skeptisch. Sie erklärt, dass sie nur die Geschichte von Graufang erzählt habe – nicht ihn selbst herbeirufen wollte. Sie ist offenbar eine Geschichtenerzählerin oder Schamanin. Während sie spricht, fällt Aleya auf, dass ihre Stimme ihm bekannt vorkommt – es war die gleiche Stimme, die ihn zuvor auf seinen Weg geführt hatte. Sie hatte ihn hierher gelockt. Er erinnert sich an eine Trommel, die sie geschlagen hatte, ein Instrument der Schamanen, um mit Geistern oder vergangenen Zeiten in Kontakt zu treten.

Die Alte akzeptiert schließlich, dass Aleya mit Graufang verbunden ist, bleibt jedoch misstrauisch. Sie warnt ihn, dass sein Erwachen für die Welt eine Katastrophe bedeuten könnte. Die alten Mythen erzählen, dass Graufang von unbändiger Wut erfüllt sei – eine Wut, die alles zerstören würde. Sie fragt ihn direkt: "Glaubst du wirklich, du kannst ihn kontrollieren?"

Aleya ist sich nicht sicher. Er spürt Graufangs Präsenz in sich, aber er weiß nicht, ob er ihn wirklich beherrschen kann. Plötzlich hören sie draußen ein unheimliches Heulen. Es ist nicht das übliche, melancholische oder kommunikative Heulen von Wölfen, sondern ein kaltes, verzerrtes Geräusch, das eine tiefe Bedrohung ausstrahlt. Die Alte wird bleich: "Die Wölfe Kyrjakas haben eure Fährte aufgenommen. Sie kommen." Sie erklärt, dass diese Kreaturen keine normalen Wölfe sind, sondern dunkle Wesen, die Menschen und Wölfe vergessen lassen, wer sie sind. Sie bringen den blutigen Mond und einen Nebel mit sich, der ganze Jahre verschlingen kann. Sie stammen von der schwarzen Tochter der Himmelswölfin Lieska. Ihre Ankunft bedeutet nichts Gutes.

Aleya erwägt, den Limbus zu nutzen, um zu fliehen, doch dies scheint riskant. Schließlich entscheiden sie sich für einen magischen Schutz, um ihre Fährte zu verbergen. Nacladaria wirkt einen Bann, der sie vor übernatürlicher Wahrnehmung abschirmen soll. Zumindest für einige Stunden sind sie sicher. Nachdem die unmittelbare Gefahr gebannt ist, kehrt die Unterhaltung zur Geschichte zurück. Aleya fragt die Alte nach dem „dunklen Zwilling“, doch sie kennt Borbarad und Rohal nicht. Stattdessen erzählt sie ihm von den schwarzen Wölfen, insbesondere von einem, den sie als den "überzähligen Bruder" bezeichnet – einen Einzelgänger, der nicht zum Rudel gehörte. Aleya und Nacladaria rätseln, ob es eine Verbindung zwischen diesem Wolf und dem Namenlosen gibt. Dann erwähnt die Alte Mada "den Mörder". Dies verwirrt die Gruppe, da Mada in der zwölfgöttlichen Tradition eine eher tragische Figur ist. Die Geschichtenerzählerin besteht darauf, dass Mada den Bund zwischen Wölfen und Menschen zerstört habe, doch um das zu verstehen, müssten sie mehr über Lieska wissen. Lieska, so erzählt sie, war die sanftmütige Vermittlerin zwischen Menschen und Wölfen. Sie hatte Mitleid mit den Sterblichen und half ihnen, wo sie konnte. Doch sie gebar eine Tochter – Kyrjaka –, die in der dunkelsten Nacht geboren wurde und mit einem Herzen voller Neid und Missgunst aufwuchs. Kyrjaka brachte Unglück über ihre Mutter und ihr Volk.


Die Dunkelgeborene

Eines der Kinder Gorfangs war Lieska, deren Herz voller Milde und Verständnis ist. Lieskas Fell ist von silbergrauer Farbe, und sie ist nicht so stark wie ihre Schwestern Fienjei und Fianjei oder ihre Brüder Rasjuak und Raaukjo, doch sie ist klüger und gewitzer als sie alle.

In den Tagen vor langer Zeit, als das silberne Mal der Schande noch nicht am Himmel stand, geschah es einst in einer dunklen Nacht, als keine Sterne im Zenit über dem Tuundarikuinen standen, dass ein streunender Wolf das Rudel der Himmelswölfe aufsuchte. Und ein Jahr später, als wieder die Zeit für die dunkelste Nacht herangekommen war, da gebar die Himmelswölfin Lieska eine Tochter. Ihre Augen öffneten sich in der dunkelsten Nacht, und ein Schatten lag auf ihrer Geburt. Als sie heranwuchs, war die Dunkelheit in ihrem Herzen, und auch ihr Fell war schwarz wie die Nacht. Sie wurde Kyrjaka genannt, und sie war voller Neid und Missgunst, und brachte Unglück über ihr Volk und ihre Mutter, und deswegen werden alle Nivesenkinder, die in den dunkelsten Tagen geboren werden, ausgesetzt.

Das Feuer des Himmels

Ruanjik ist der verspielteste der Himmelswölfe, und mit großer rollt er jeden Tag die Sonnenscheibe über den Himmel. Kyrjaka, die im Dunkeln geboren war, empfand Neid auf das Licht des Feuers und wollte es für sich selbst. Doch es erschien ihr zu gefährlich, sich der Sonnenscheibe zu nähern. Also sprach sie zu dem geschickten Rokjok: "Willst du mir nicht ein Stück von der Sonne abbeißen? Ihr Licht erfreut mich so!"

Und Rokjok, der Gutes im Sinn hatte, lief hinauf zur Sonnenscheibe und biss ein Stück davon ab. Er konnte es aber nicht im Maul tragen, weil es zu heiß war. Also setzte er seinen Schweif in Brand, und so trug er das Feuer hinab vom Himmel, und seither ist sein Schweif rot, weswegen er auch als Rotschweif bekannt ist.

Doch keiner der Himmelswölfe aus dem göttlichen Rudel wusste, wie man das Feuer hegen und nähren konnte, und so blieb Kyrjakas Begehren unerfüllt.

Kyrjaka und das gestohlene Feuer

Auf ihren Wanderungen entfernte sich Kyrjaka weit vom Rudel der Himmelswölfe, und in einer dunklen Nacht sah sie plötzlich ein helles Leuchten vor sich. Sie schlich sich näher heran und sah, dass es der Schein eines Feuers war, der aus einer Höhle drang. Kyrjaka wusste nicht, was es mit dem Feuer auf sich hatte, doch in ihrem Herzen, das von Dunkelheit erfüllt war, spürte sie einen großen Wunsch nach dem Licht und sie wollte es für sich haben. Sie merkte aber, dass ein einsamer Wolf in der Höhle lebte, also versteckte sie sich und wartete, bis er auf die Jagd ging, um sich sodann in die Höhle zu schleichen und ein Stück der Glut zu stehlen.

Sie trug den glühenden Brocken Glut mit sich und war voller Freude über die loderne Wärme, die sie errungen hatte. Doch nach kurzer Zeit erstarb das Feuer und wurde schwach, denn Kyrjaka hatte nicht daran gedacht, es zu füttern.

Der einsame Wolf kehrte zurück. Sein Fell war so schwarz wie das von Kyrjaka. Er fand sein Feuer durcheinandergebracht und schwach glimmend vor. Er nährte es mit Zweigen und Reisig, und bald wuchs es und wurde kräftiger. Kyrjakas Feuer jedoch erstarb, und sie war zornig darüber.

Am nächsten Tag stahl sie erneut ein Stück des Feuers, doch das gleiche Spiel wiederholte sich. Wieder musste der schwarze Wolf sein zerstreutes Feuer stärken und nähren, und da es dieses Mal fast erloschen war er brachte mehr Holz und Reisig, um das nächste Mal gleich die Nahrung für die Flammen bereit zu haben.

Doch Kyrjakas Feuer, das sie nicht zu nähren wusste, erstarb erneut. Als sie das dritte Mal ging, um das Feuer zu stehlen, war sie so zornig, dass sie jede Vorsicht fahren ließ, und der Wolf ertappte sie in seiner Höhle.

"Du hast mein Feuer verflucht, sodass es stets erlischt! Kein Licht willst du mir gönnen", fauchte Kyrjaka anklagend. Sie sprang dem Wolf an die Kehle, und die beiden kämpften in der Höhle um Leben und Tod. Dabei fiel alles Holz in das Feuer.

Kyrjaka tötete den schwarzen Wolf. Doch im Kampf war das Feuer größer und hungriger geworden, und dichter Rauch quoll durch die Höhle, sodass Kyrjaka nicht atmen konnte.

Es war ihr Glück, dass Lieska zu dieser Zeit vorbei kam, die die Geräusche des Kampfes gehört hatte. Sie fand Kyrjaka und zog sie aus den Flammen. Doch das Feuer breitete sich aus, und ein mächtiger Sturm kam auf, und es verbrannte das Tuundarikuinen, und dort wo es wütete, liegt heute das sturmumtoste Kekkasavu, in dem die Seelen der Toten und die bösen Geister im Rauch der Totenfeuer mitgerissen werden.

Für den Mord an dem schwarzen Wolf jedoch wurde Kyrjaka aus dem Rudel der Himmelswölfe verbannt, und seither zog sie allein umher, manchmal bei den Menschen, manchmal bei den Wölfen, und häufig durchstreifte sie das Kekkasavu. Wenn sie zu den Menschen ging, nahm sie jedoch ihre menschliche Gestalt an, und in dieser war sie ein Mann und bekannt als Mada, und die Menschen wussten nichts von seiner Herkunft.

Mada der Mörder

Eines Tages kam Lieska zu den Menschen, um ihnen Rat und Einsicht zu schenken. Zu jener Zeit lebte Mada bei den Menschen als einer der ihren, und er hatte eine kluge Frau, die hieß Kavaltara. Die Sippenführerin nahm Lieska ehrerbietig in ihrer Hütte auf, und Kavaltara bat Mada, seinen Lagerplatz für die Wölfin mit dem silbernen Auge zu räumen. Dieser war sehr empört darüber, dass ihr Platz machen musste. Als er am nächsten Morgen wieder die Hütte betrat, sah er, dass Lieska zwei Welpen mitgebracht hatte, deren Augen voller Sternenglanz waren. Als er sah, wie Lieska die Welpen säugte, wurde er von Eifersucht gepackt.

Denn Mada glaubte, dass die Welpen eine große Macht besaßen, welche die Himmelswölfe vor den Menschen verbargen. Ihr Blut zu trinken würde den Menschen die Kraft geben, das Kommen des Winters und die Bahnen der Sterne zu bestimmen. Also ging Mada in die Hütte und ergriff die Welpen am Genick. Doch kaum hatte er die Hütte verlassen, begannen sie jämmerlich zu winseln. Mada bekam große Angst und erschlug die Tiere. Ihr Blut, welches weiß wie Schnee war, benetzte seine Hände und färbte seine Haut und Haare weiß. "Was hast du getan?", sprach Kavaltara. "Nun müssen wir alle den Zorn der Himmelswölfe fürchten!"

Als Lieska den Mord entdeckte, sprach sie: "Diesen Tag werden die Menschen nie vergessen." Und sie heulte voller Schmerz. Dann wandte sie sich um und stieg über den Himmelsturm zum Himmelsgewölbe hinauf. Die Leichen ihrer Kinder legte sie auf die silberne Schale, die sich jeden Abend am Firmament zeigt. Diese wird seitdem Madamal oder Madas Schandmal genannt.

Die Himmelswölfe jedoch, Goauoan, Rieinan, Rasjuak und die anderen, waren erzürnt über das Leid, das Lieska angetan wurde. Voller Zorn kamen sie zu den Sterblichen herab, sie fraßen das Land, kehrten die Scholle um rissen mit ihren Krallen tiefe Gräben. Sie hätten gewiss die ganze Welt zerstört, hätte nicht Lieska, die eigentlich im Herzen milde war und dachte, dass nun der Rache genug getan wäre, ihren Vater um Einhalt gebeten.

Vom Land aber blieb nur ein kümmerlicher Rest, von Bergen und Seen übersät, und seit dem ein Mensch einen Wolf erschlug, leben die Menschen in einer harten Welt und müssen um ihr Überleben kämpfen.

In jeder Vollmondnacht werden die Nivesen an Madas Verbrechen erinert, und die Wölfe lassen ihr anklagendes Lied erklingen, wenn sie um Lieskas Kinder trauern.

Die Geschichtenerzählerin fürchtet, dass Graufangs Erwachen das Ende bedeuten wird – nicht nur für ihn, sondern für alle. Die einzige Möglichkeit, ihn zu besänftigen, wäre, ihn schlafen zu lassen. Doch Aleya spürt, dass dies keine Lösung ist. Er ist nicht bereit, aufzugeben. Aber kann er wirklich mit Graufang sprechen? Kann er ihn beeinflussen? Die Alte ist skeptisch. Sie sagt: "Vielleicht gibt es einen Grund, warum er ausgerechnet in dir ruht. Aber du weißt nichts über ihn. Du weißt nichts über uns."

Die alte Schamanin erzählt, dass nur Lieska einen mäßigenden Einfluss auf Graufang hatte. Doch selbst ihr gelang es nicht, ihn vollständig zu besänftigen. Dann beginnt die Alte, die "Geschichte der Geschenke" zu erzählen – eine alte nivesische Erzählung über einen Jäger, der mit gebrochenem Bogen und ohne Beute durch den Wald streift.

Drei Geschenke

Einmal war ein Jäger namens Einuk im Wald unterwegs, doch er wollte keine Beute finden. Und als er zuletzt versuchte, mit seinem Bogen wenigstens einen Firnmarder zu erlegen, doch der Bogen brach, als er ihn spannte. Da klagte Einuk: "Oh nein, wie soll ich nun meine Familie ernähren?"

In diesem Moment erschien eine graue Wölfin, und sie hatte Mitleid mit dem Jäger. Sie trug in ihrem Maul ein weißes Schneehuhn und legte es vor den Jäger ab.

"Zerteile den Vogel und iss ihn, das Herz aber vergrabe vor deinem Zelt, und deiner Familie werden drei Wünsche erfüllt werden!"

Einuk bedankte sich überschwänglich, lief nach Hause und tat wie gehießen. Als erstes sprach er laut, dass er sich einen gewaltigen Haufen von Beeren wünsche, um sie seiner Familie zu essen zu geben. Und tatsächlich, als er in das Zelt trat, fand er dort einen gewaltigen Berg von süßen schwarzen Beeren vor. Nun hatte er aber kein Gefäß, um sie zu lagern, und so schickte er seinen Sohn zu einem anderen Mann im Stamm, um einen großen Sack zu holen, damit sie einen großen Teil der Beeren im eisigen Boden vergraben konnten, um sie später herauszuholen.

Der Sohn lief hinüber zu dem anderen Zelt und fragte nach einem großen Sack. Der Jäger drüben, der Rukjo hieß, fragte ihn, wofür er den brauche, und der kleine Junge sprach die Wahrheit und erzählte ihm alles. Da wurde Rukjo neidisch, denn er wollte auch drei Wünsche erfüllt bekommen.

Er stampfte durch den Wald, um alle Vögel und Tiere zu verscheuchen, und schoss wild mit seinem Bogen. Als dieser aber nicht zerbrechen wollte, so nahm er ihn in beide Hände und brach ihn entzwei. Sodann begann er laut zu klagen, und tatsächlich, die graue Wölfin erschien und brachte auch ihm einen weißen Vogel.

Rukjo kehrte heim mit dem Vogel und berichtete seiner Frau Vaela, was geschehen war, und ging, das Herz zu vergraben. Sie glaubte ihm aber nicht, und sprach daher spöttisch: "Wenn mein Mann nicht gelogen hat, dann sollen die Karene draußen tanzen wie junge Mädchen". Da hörte sie einen lauten Ruf, und als sie vor die Hütte trat, sah sie, dass die Karene wirklich zu tanzen begonnen hatten. "Die Gabetaj sollen dich holen!", rief Rukjo voller Zorn, und ein Sturmgeist brauste heran und ergriff seine Frau, und riss sie mit sich. Nun war Rukjo zuerst erfreut, dass er seine Frau losgeworden war, nach einigen Augenblicken jedoch packte ihn die Reue, und er erkannte, dass er sie vermissen würde, und so wünschte er sich, dass Vaela wiederkehren solle. Und so kam sie zurück, die Wünsche aber waren alle verbraucht.

Einuk und seine Familie indes waren klüger. Sie wünschten sich ein langes und gesundes Leben, und gute Pritinaj, die ihr Zelt bewachen sollten, und alle ihre Wünsche gingen in Erfüllung. Die graue Wölfin aber sah niemand von ihnen jemals wieder.

Diese Erzählungen geben Nacladaria und Aleya zu denken. Doch für lange Diskussionen bleibt keine Zeit, denn die Verfolger sind ihnen auf den Fersen. Die Wölfe Kyrjakas, die sich in den Schatten bewegen, sind nur noch eine Meile entfernt. Pakauka, die Schamanin, erklärt, dass sie sich nicht ewig verstecken können. Die Spuren im Schnee, der Rauch, den ihre Magie hinterlässt – all das wird sie irgendwann verraten. Die einzige Möglichkeit scheint eine schnelle Flucht zu sein. Aleya überlegt, den Limbus zu nutzen, doch die sie müssen erst genug Abstand gewinnen, damit sie im Limbus nicht sofort von den Wesen verfolg werden.

Sie lassen das Feuer in der Hütte brennen, um die Verfolger abzulenken, und fliehen durch den Wald. Die Schamanin und einige Wölfe begleiten sie. Nacladaria nutzt ihre Magie, um ihre Spur zu verschleiern, doch sie wissen, dass dies nur für kurze Zeit hält. Sie erreichen einen Fluss. Die Schamanin verwandelt sich in eine Wölfin durchquert den Fluss schwimmend, doch Aleya und Nacladaria geraten in dem kalten Wasser in Schwierigkeiten und erreichen nur mit Mühe das andere Ufer.

Schlimmer noch: Einer der anderen Wölfe, Ganuk, wird ebenfalls von der Strömung erfasst und gegen einen Felsen geschleudert. Er verliert das Bewusstsein und droht zu ertrinken. Aleya, der noch immer von Graufangs kalter Logik beeinflusst wird, empfindet kaum Mitgefühl für ihn – doch Nacladaria handelt instinktiv und versucht, ihn aus dem Wasser zu ziehen. Sie riskiert ihr eigenes Leben, um ihn ans Ufer zu bringen. Schließlich gelingt es mit vereinten Kräften. Graufangs fehlende Reaktion auf das Leid anderer beginnt Aleya zu beunruhigen.

Als sie sich schließlich am Ufer sammeln, sind sie erschöpft, aber noch immer nicht in Sicherheit. Sie ziehen sich in eine Senke zurück, um ihre Spuren zu verwischen. Doch während sie sich aufwärmen, wird Aleya erneut von Graufangs Präsenz überwältigt. Der Vollmond bricht durch die Wolken, und mit ihm kommt eine Welle von Zorn und Wut. Für einen Moment scheint es, als würde Aleya sich völlig verlieren. Nacladaria, die seine Veränderung bemerkt, ruft ihm zu, dass sie hier wegmüssen, bevor es zu spät ist. Aleya ringt mit sich selbst, spürt die Versuchung, in den Kampf zu ziehen, die Wölfe Kyrjakas zu stellen und sie alle zu vernichten. Doch schließlich gewinnt er die Kontrolle zurück – gerade rechtzeitig, um das Limbus-Portal zu öffnen.

Die Realität zerfließt. Die Grenzen zwischen Zeit und Raum verschwimmen, als Aleya mit Nacladaria in die seltsame, unwirkliche Sphäre des Limbus tritt. Ströme chaotischer Energie wirbeln an ihnen vorbei. Der Limbus ist instabiler als gewöhnlich. Sie spüren ein Ziehen in verschiedene Richtungen, als ob etwas oder jemand versucht, ihre Reise zu beeinflussen. Aleya konzentriert sich darauf, den Weg zu stabilisieren, doch seine Gedanken sind noch immer von der Präsenz Graufangs durchdrungen. Ein Teil von ihm will sich dem Urinstinkt des Wolfs hingeben, sich einfach treiben lassen, doch sein Verstand weiß, dass er einen Weg finden mus.

Nacladaria fühlt eine Veränderung in der Struktur des Limbus – als ob sie nicht die einzigen Wesen sind, die sich hier bewegen. Plötzlich erscheint eine Gestalt vor ihnen: Ein in Dunkelheit gehüllter Umriss, kaum mehr als ein verzerrtes Spiegelbild der Realität. Die Umrisse wirken bekannt, doch sie können kein Gesicht erkennen. Dann spricht die Gestalt mit Aleyas eigener Stimme – doch verzerrt, fremd. "Warum rennst du?" fragt die Erscheinung mit kaltem Unterton. "Du bist einer von uns."

Ein kalter Schauer läuft Aleyas Rücken herab. Er erkennt, dass dies nicht einfach eine Täuschung ist. Etwas in diesem Ort will ihn beeinflussen – vielleicht Graufang selbst oder ein Echo der Wölfe Kyrjakas. Er sammelt seine Gedanken und antwortet: "Ich renne nicht. Ich gehe meinen eigenen Weg."

Die Gestalt lacht. Es ist ein kehliges, abgehacktes Lachen. "Dein eigener Weg? Du trägst mich in dir. Du kannst mir nicht entkommen."

Nacladaria spricht einen Zauber, um den Pfad zu stabilisieren, und für einen Moment reißt der Nebel im Limbus auf. Vor ihnen öffnet sich ein Ausgang – ein heller Spalt in der Realität, der sie zurückführt.

Doch bevor sie hindurchtreten können, formt sich eine weitere Vision vor Aleyas Augen. Ein riesiger, dunkler Wolf mit glühenden Augen tritt aus dem Schatten, seine Stimme ein tiefes Grollen. "Es ist Zeit, sich zu entscheiden. Bist du einer von uns – oder einer von ihnen?"

Bevor er antworten kann, packt Nacladaria Aleya am Arm und zieht ihn mit sich durch das Portal. Mit einem Ruck werden sie aus dem Limbus geschleudert und finden sich in einer vertrauteren Umgebung wieder. Die Luft ist kühl, der Boden fest – sie sind wieder in der normalen Welt. Es scheint Nacht zu sein. Sie sehen Felsen und Unterholz.