Aequitas' Diarum/27. Efferd 1021 BF: Unterschied zwischen den Versionen

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Version vom 14. Juli 2019, 11:02 Uhr

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Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass die Tage, in denen ich meine Gedanken in diesem alten Diarium niederlege, lange vorbei gewesen wären. Doch die Geschehnisse in Widharsrodt belehrten mich eines Besseren. Was sich dort zutrug wird in der Retrospektive vielleicht einmal als Wendepunkt dieses immer schwerer erträglichen Kriegs in die Geschichtsbücher eingehen. Nicht nur aus der Perspektive der Strategen, auch für mich persönlich hielt dieser befremdliche Ort Prüfungen bereit und ermöglichte mir, mich endlich von den Dämonen meiner Vergangenheit zu lösen und nach vorne zu blicken. Dies wird nicht zuletzt für eine spätere Generation von Biographen von Bedeutung sein, sodass es wohl zu rechtfertigen ist, wenn ich mir im Angesicht der dräuenden Gefahr der auf unsere Heimstatt marschierenden Heere und der Unzahl der für die Verteidigung zu erledigenden Dinge, die Zeit nehme, um zu berichten, was geschah.

Ich gestehe, dass es keines der inzwischen berühmt gewordenen Eisenrather Kommandounternehmen war, welches unsere Strafexpedition motiviert hatte. Nacladaria war in dem ihr eigenen, jugendlichen Leichtsinn von einer Vision in Aufruhr versetzt worden, deren denunziatorische und stumpfe Agitation gegen gewisse mächtige Feinde Borbarads sie als für das geübte Auge leicht erkennbare schwarz-rote Propaganda entlarvte. Als der Collega Ambareth zudem auch noch durch eine rasche Analyse konstatierte, dass die Träume des Mädchens über eine magische Spur verfügten, die praktischerweise direkt zu ihrem Urheber zu führen schien, war klar, dass es sich um eine – reichlich plumpe – Falle handeln musste. Gleichwohl ist gegen das ungestüme Wesen der Scholaren und Eleven kein Kraut gewachsen und so befanden wir uns mit weniger Vorbereitung, als ich es persönlich hätte gutheißen können, auf dem Weg in die besetzten Gebiete Tobriens.

Die Reise zu Pferd dauerte mehrere Tage für einige wenige 100 Meilen – Distanzen, die durch die Ruptionen des Limbus, welche der Sphärenschänder herbeigeführt hatte, in diesen Breitengraden nicht mehr via Transversalis überwunden werden konnte. Noch vor weniger als einem Jahr war das Wirken eines solchen Zaubers in Ost-Tobrien zwar mit Risiken verbunden, die ein fähiger Magus allerdings ohne Probleme kontrollieren konnte. Der Verfall der sogenannten Schwarzen Lande schritt voran und unwillkürlich fragte man sich, über was für eine pandämonische Einöde die geisteskranken Buhlen der Niederhöllen wohl eines Tages herrschen wollten, wenn sie diesen Entwicklungen nicht Einhalt geboten. Dies impliziert selbstverständlich, dass sie dazu überhaupt noch in der Lage wären – doch wer kann sagen, ob die einmal in Gang gesetzten Prozesse heptasphärischer Verseuchung in diesen Landen überhaupt noch umkehrbar sind? Vielleicht werden sie selbst nach unserem Sieg verbleiben – ein bitteres Mahnmal der Dummheit und des Größenwahns, eine Erinnerung daran, was passiert, wenn missgünstige Schwächlinge sich mit Mächten einlassen, denen sie nicht gewachsen sind. Tharsonius selbst könnte die dämonischen Wucherungen stoppen, daran besteht kein Zweifel. Dass er es nicht tut und vorsätzlich weiter diese Ansammlung unfähiger, machtgieriger Narren sein „Reich“ zu Grunde richten lässt, bevor seine Herrschaft überhaupt begonnen hat, sagt mehr über die praktische Unmöglichkeit der Umsetzung des Borbaradianismus als Gesellschaftssystem aus, als es jedes philosophische Traktat könnte und straft die faulig-süßen Versprechungen demagogischer Träumer à la Azaril Scharlachkraut Lügen, ein Punkt, auf den ich im weiteren Verlauf der Geschehnisse noch einmal zurückkommen werde.

Die Auswirkungen des Zusammenbruchs jeder Ordnung und der immer weiter um sich greifenden Dämonenpest spürten wir am eigenen Leib, denn Exkremente ziehen bekanntlich Fliegen an und so hätte es mich nicht Wunder nehmen sollen, in diesem Teil der Welt ausgerechnet auf eine Gruppe Drakonischer Druiden zu stoßen. Ich breite an dieser Stelle den Mantel des Schweigens über die beinahe eskalierte Konfrontation mit diesem traurigen Haufen von vor eigener moralischer Größe kaum noch des Gehens fähigen Dilettanten, die selbst an einem solchen Ort, an dem Kooperation wohlmöglich zum beiderseitigen Vorteil gewesen wäre, nichts Besseres zu tun hatten, als einen feigen Mordversuch gegen den ersten Gezeichneten zu initiieren. Nach dem Ende des Krieges wird zu eruieren sein, wie mit ihnen und ihrer „akademischen“ Tradition zu verfahren ist. Für den Moment konnten sie sich jedoch glücklich schätzen, dass die arme Seele der jungen Nacladaria das Trauma, welches ihre Jahre in Gefangenschaft im Konzil für sie bedeutet haben müssen, auf tragische Weise in eine Art perverse Sympathie uminterpretiert hatte und so selbst nach initialer Aggression der Konzilsdruiden auf einer friedlichen Lösung beharrte.
Als wir diese traurige Ansammlung sprichwörtlicher Gärtner in der Khom hinter uns zurückgelassen hatten, folgten wir weiter der Spur. Wir überquerten die Tobimora und fanden auf der anderen Seite des Flusses eine kleine Stadt mit einer Festung vor, die mir aus besseren Tagen noch als Bergenhus bekannt gewesen war. Wie sehr hatte ich den provinziellen und dörflichen Charakter solcher tobrischer Ortschaften damals noch verachtet und wie sehnte ich ihn mir im Angesicht des allgegenwärtigen Wahnsinns dieser schwarzen Lande nun herbei? Doch es gab kein Bergenhus mehr, die mit der Gabe der Kreativität gesegneten Dämonenknechte nannten sie nunmehr Widharsrodt und der allgemeine Eindruck dieses Fleckens mit seinen von Kämpfen verheerten Mauern und Ruinen, den allgegenwärtigen schwarz-roten Bannern und der kleinen Burg, die verkrüppelt auf einem Hügel über den restlichen Gebäuden aufragte, verhieß nichts Gutes. Doch hier endete die Spur.

Dem Sinn dieses ganzen Alveranskommandos nach wie vor ausgesprochen skeptisch gegenüberstehend wuchs mein Interesse schlagartig, als wir in den Überresten einiger Wehrtürme Holzfäller belauschten, deren Gespräche nahelegten, dass nicht nur Seghal, sondern anscheinend auch Kasmyr in der Stadt weilte. Verständlicherweise hatte das einfache Volk große Angst vor dem Dämonenbalg, mehr noch, als vor all den anderen niederhöllischen Perversionen, die sie nach und nach als Teil ihres Alltags zu akzeptieren schienen. Schnell wurde der Entschluss gefasst, dass wir etwas tun müssten. Doch zuvor gebot es der gesunde Menschenverstand, dass wir uns sammeln und neu sortieren mussten: Schlecht ausgerüstet im Feindesland brauchte es eine sichere Operationsbasis und so schlugen Nacladaria und Magister Ambareth zwischen fahlen Baustämmen, fauligen Wurzeln und krankhaft wuchernden Ästen unter kundiger Anleitung ein Lager auf, welches ich durch Magie und ein neu gewecktes Interesse an der Holzbearbeitung in einen wehrfähigen Zustand versetzte.

Wir brauchten einen Plan, doch um diesen zu fassen bedurfte es weiterer Informationen. Nach kurzem Zögern einigten wir uns darauf, die Stadt via Körperloser Reise und ausgezeichneter Tarnung näher in Augenschein zu nehmen, um uns ein Bild der Lage zu machen. Unsere Erkenntnisse warfen ein faszinierendes Licht auf das Leben unter der borbaradianischen Knute: Menschen, die gezwungen waren, die Gebeine ihrer Anverwandten an Knochensammler zu verkaufen, welche diese Gerüchten zufolge nach Warunk brachten (eine dem Prinzip nach durchaus innovative Idee, der ich vorbehaltlich einiger zu klärender theologischer Fragen einiges abgewinnen kann), Gläubige, die in Scharen in die Tempel Borbarads (unter der Leitung des oben erwähnten Seghals) und Agrimoths strömten und Bürger, die offen darüber diskutierten, ob ein Seelenpakt für sie die richtige Entscheidung sei oder nicht, zeigten deutlich, was passiert, wenn es dem einfachen Volk an klarer Führung mangelt.
Man könnte nun sicherlich argumentieren, dass all dies Übergangserscheinungen sind und sich mit der Zeit eine neue Ordnung herausbilden wird, die wieder in der Lage ist, klare Normen und Regel vorzugeben, doch widerspräche dies dem Wesen der Niederhöllen an sich: Ist nicht jede menschliche Gesellschaft, die versucht hat, die Götter Alverans in all ihrer Unfähigkeit durch die Mächte der siebten Sphäre zu ersetzen, früher oder später in sich zusammengebrochen? Ist die Essenz jeder heptasphärischen Entität nicht das reine Chaos, welches sich alleine durch den menschlichen Willen und die radiierende, strukturgebende Macht des Seins binden und formen lässt? Wenn schon willensstarke Individuen daran scheitern, diese Kräfte unter Kontrolle zu halten, wie sollten dann ganze Reiche diesem Druck standhalten? Die Mächte das Chaos dazu zu berufen, die Ordnung der Dinge zu garantieren, ist ähnlich sinnvoll, wie einem Feuerelementar die Bewachung einer Scheune in brütender Sommerhitze zu befehlen.
Doch selbst wenn wir für den Moment hinnehmen sollten, dass es dieses eine Mal anders wäre und eine nachhaltige Gesellschaft möglich ist, die die Götter durch ihre niederhöllischen Gegenspieler ersetzt, würde dies nicht den Grundlagen der borbaradianischen Philosophie zuwiderlaufen? Zu proklamieren, dass jede Hierarchie einzig auf Kompetenz begründet sein soll, ist eine Einladung zum permanenten Bürgerkrieg, der, basierend auf dem Diktum, dass jeder Mensch bekanntlich ein Magier sei, mit Waffen geführt würde, deren Zerstörungspotential nicht zuletzt die Jahre 590 BF bis 608 BF eindrucksvoll demonstrierten. Nimmt man Borbarads Lehren ernst, erzwingen sie die permanente Auflehnung gegen jede Ordnung, nur für kurze Zeit ist ein brüchiger Status Quo denkbar, der stets durch jene, die mehr wollen, die sich ungerecht behandelt fühlen, die ehrgeiziger sind, als es ihnen guttut, gefährdet ist. Und in einer Gesellschaft, in der die Einflüsterungen der Niederhöllen allgegenwärtig sind, gibt es genügend Mächte, die daran interessiert sind, einen jeden davon zu überzeugen, dass er um seine ihm rechtmäßig zustehende Macht gebracht wird. Der einzige Ausweg aus diesem Dilemma ist die Existenz einer leviathanischen Kreatur von solcher Macht, dass sie in der Lage ist diesen permanenten Krieg aller gegen alle zu unterbinden, indem sie totale Unterordnung erzwingt und dadurch eine Form von verbindlicher Hierarchie durch klare Regeln etabliert. Welch‘ Ironie, dass den autodestruktiven Kräften der Borbaradianischen Gesellschaftsphilosophie nur von Borbarad selbst Einhalt geboten werden könnte (sofern er es denn wollte) und dies nichts anderes als die Herrschaft eines Gottes über Menschen bedeuten würde.

Man hätte sich einmal komplett im Kreis gedreht und eine Form der Herrschaft überwunden, nur um sie aus dem entstehenden Chaos heraus wieder neu zu errichten. Doch dies setzt selbstverständlich voraus, dass Tharsonius an einer solchen Lösung gelegen wäre. Wohlmöglich würde er den kompletten Zerfall der bestehenden Strukturen vorziehen und das resultierende, permanente Chaos gar bewusst aufrechterhalten? Ich halte das für nicht sonderlich wahrscheinlich, denn letztlich scheint der Alveraniar des verbotenen Wissens zu klug, um nicht zu sehen, dass eine klare Ordnung ihn dazu befähigen würde weit mehr zu erreichen, als Unruhe, Krieg und Unsicherheit es ihm jemals erlauben könnten. Andererseits hätte er unter dieser Prämisse auch gleich darauf verzichten können, diesen unsinnigen Krieg vom Zaun zu brechen, um sich stattdessen durch List und Intrige an die Spitze z.B. des Mittelreichs zu setzen und von dort aus die Welt nach und nach entsprechend seiner Ziele umzuformen. Auch die oben beschriebene Art des Umgangs mit den natürlichen Ressourcen seines Reichs spricht gegen ein Interesse an nachhaltiger Herrschaft. Vielleicht steckt doch weniger von seinem Bruder in Tharsonius, als man es vermuten würde und die Umwertung aller Werte, die Vernichtung des Bestehenden ist schlicht sein Prinzip, ein Teil seiner Natur, gegen den er sich nicht wehren kann. Es wäre schon bizarr, wenn ein Alveraniar nicht über die Kraft verfügte, seinen Blick auf die Welt zu ändern. Zumindest in diesem Punkt bin ich ihm wohl tatsächlich voraus.

Doch ich entferne mich vom Kern meiner Erzählung: So faszinierend das Studium der Lebensverhältnisse im Spätborbaradianismus auch sei, relevanter war für den Moment die Information, welche wir in Widharsrodt über die Bewohner der kleinen Burg über der Stadt sammeln konnten. Denn seitdem die alten Lehensherren vertrieben worden waren, hatte sich dieser kleine Bau als Sitz einiger der berüchtigtsten Diener des Dämonenmeisters angedient: Jene komplette Gruppe, die wir gemeinhin als die blutigen Sieben kennen und deren Pläne wir ein ums andere Mal durchkreuzt hatten, schien hier zu residieren. Welch‘ einmalige Gelegenheit, dem Feind einen vernichtenden Schlag zuzufügen, wenn es uns gelingen sollte, Wulf Rodergrimm, Arlin Incendius, Perdor, Sohn des Perilax oder Achaz saba Arataz endlich auszuschalten!
Gleichwohl bedeutete dies für mich zwei Begegnungen, denen ich mit gemischten Gefühlen entgegenblickte: Denn bekanntlich zählten zu den blutigen Sieben auch die berühmte Nekromantin Morena ya Menario und der Amazeroth-Paktierer Adario Marboso Paligan.

Über Jahre gewachsen verband mich mit Morena eine enge Freundschaft, man könnte vielleicht sogar von einer Seelenverwandtschaft sprechen. Ihre sensible Lyrik, ihre verführerische Schönheit und ihr etwas eigener Umgang mit Menschen hatten mich auf eine ungekannte Art und Weise gefangen genommen, in ihrer Gegenwart fühlte ich mich, als wäre ich wieder ein 14-Jähriger Junge an der Akademie, auf einmal vollkommen überfordert im Umgang mit den weiblichen Scholaren oder gar Adepten. Dass sie gleichwohl der Form nach auf der Seite des Feindes stand, machte die Sache nicht einfacher, aber ich war zuversichtlich, dass wir hier, sofern wir nur endlich einmal wieder die Gelegenheit zu einem längeren Gespräch von Angesicht zu Angesicht hätten, zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung kommen könnten.

Deutlich schwieriger verhielt es sich mit Paligan. Ich denke, dass es keinen Sinn macht geheimzuhalten, dass dieses infame Subjekt für sich in Anspruch nehmen kann, partiell für meine Zeugung verantwortlich zu sein. Dass er mich danach über Jahrzehnte im Unklaren über seine Identität ließ und jeden Kontakt mit mir vermied, führte eben so wenig zu einer Verbesserung unseres Verhältnisses wie einige schäbige Intrigen, die mich beinahe meinen Status in der Gildenmagie gekostet hätten oder die Tatsache, dass er, soweit ich die Fakten korrekt interpretiere, meine Mutter Lyndia di Zeforika Amazeroth geopfert hat, um im Austausch dafür die Gabe der Magie zu erhalten. Mit diesem verabscheuungswürdigen Individuum hatte ich noch eine Rechnung offen.
Es war klar, dass wir jede nur erdenkliche Ressource benötigen würden, die wir in diesem götterverlassenen Teil Tobriens organisieren konnten und so nahmen Kontakt zu einigen Schatten in der Umgebung auf. Dass es ausgerechnet Deveron Elgarstyn und Morcania von Brabak waren, die antworteten, war nicht optimal, aber nach Darlegung des Sachverhalts schienen die beiden motiviert und fähig, sich an unserem Unternehmen zu beteiligen. Der Plan war klar: Wir würden mit Hilfe eines Erzdschinns in den Keller der Burg eindringen, während Morcania in der Stadt Chaos und Wahnsinn stiftet und von dort an improvisieren, wobei wir nach Möglichkeit so viele der blutigen Sieben wie möglich ausschalten, den zunehmend niederhöllischer Versuchung erliegenden Kasmyr töten und Morena zu einer kleinen Unterredung auf Eisenrath einladen würden.

Es würde den Rahmen dieses Traktates sprengen, jedes Detail unserer Infiltration zu beschreiben, doch gehe ich davon aus, dass ohnehin früher oder später Barden Lieder über jene wahnwitzige Operation komponieren werden, denen ich zu gegebener Zeit gerne Rede und Antwort stehe. Ich möchte es deshalb nur bei einigen Schlagworten belassen: Wir befreiten eine horasische Soldatin, die in den Kerkern gefangen war, kämpften gegen zahllose Untote (deren kämpferische Stärke mich sowohl schmerzlich des Fehlens von Leomars Schwertarm als auch der Macht meiner geschätzten Morena gemahnte) und durchsuchten nach und nach die Räume von Wulf, Perdor, Achaz und Arlin. Die Gänge waren überraschend leer und eine drohende Konfrontation mit einer durchaus hübsch anzusehenden Agrimoth-Priesterin, die mir bereits aus der Stadt bekannt war, konnte durch eine Mischung aus Einflussmagie und schelmischer Überredungskunst von mir verhindert werden.
Die Kammern der blutigen Sieben, die wir vorfanden, ließen einige interessante Schlüsse zu: So schien Wulf nach wie vor alles in seiner Macht Stehende zu versuchen, um endlich zu sterben, doch wollte es ihm partout nicht gelingen. Achaz Charakter hatte sich wiederum ihrem widerwärtigen Äußeren mittlerweile vollends angepasst. Nicht nur hegte sie eine perverse Eifersucht gegenüber jeder Form von persönlicher Beziehung in ihrem Umfeld, sondern schien insbesondere auf Wulf ein Auge geworfen zu haben. Perdors Schreibtisch offenbarte hingegen, dass sich unter der Maske des gewieften Händlers anscheinend ein zarter Poet befand, dessen Magnum Opus der Aufführung harrte. Wiewohl mein Rogolan eingeschränkt ist, habe ich mir fest vorgenommen, dass dieses epische Machwerk, welches sich nunmehr in meinem Besitzt befindet in der näheren Zukunft auf einer der großen Bühnen des Horasreiches inszeniert werden muss, alleine schon, um der Reaktion des Zwerges Willen. Arlin hatte sich alles in allem in den letzten 10 Jahren kaum verändert: Nach wie vor stellte er attraktiven, rothaarigen Damen nach und hielt sie in seinen Räumlichkeiten gefangen und nach wie vor verzichtete er auf irgendeine Form von ernstzunehmender Sicherheitsvorkehrung, sodass wir ohne Probleme seinen kompletten Besitz in Brand setzen konnten. Es spricht im Kontext meiner oben geäußerten Vermutungen über die Unmöglichkeit einer stabilen borbaradianischen Gesellschaftsordnung für sich, dass ein derartig erbärmliches Bündel von Inkompetenz und Geisteskrankheit zu einer derartigen Machtposition (immerhin der Führer des Agrimothkultes in den besetzten Landen) aufsteigen konnte.

Während wir in die oberen Teile der Burg vorstießen, war von unten das lauter werdende Geschrei der Stadtbevölkerung zu vernehmen und bald darauf lag der Geruch von Rauch in der Luft. Morcania hatte gute, möglicherweise zu gute Arbeit geleistet. Noch hatten wir keines unserer Ziele erreicht: Wo war Adario? Wo Morena? Wo Kasmyr? Gefühlte Ewigkeiten irrten durch ein illusionäres Spiegelkabinett und so sehr die wahnhaften Bilder, die uns gegeneinander aufzuhetzen versuchten, auch an uns zehrten, so klar war doch, dass wir uns auf dem richtigen Weg befanden: Irgendwo hier musste die Kammer Adarios sein. Unter Aufwendung übermenschlicher Fähigkeiten gelang es uns schließlich, aus dem labyrinthischen Fiebertraum, der uns umgab, auszubrechen, doch war klar, dass insbesondere der Geist von Deveron schwere Schäden genommen hatte. Inzwischen mache ich mir Vorwürfe, einen solch jungen und unerfahrenen Magus auf diese Expedition genommen zu haben, aber die Situation gestattete kein langes Grübeln: Wir hatten die Kammer Adarios gefunden. Über und über von Spiegeln bedeckt nahm es nicht Wunder, dass ich eine vage Amazeroth-Präsenz spürte. Wir ließen uns nicht weiter beirren, zu sehr drängte die Zeit und durchsuchten den Raum.

Neben zahlreichen magischen Werken minderer Qualität waren es insbesondere zwei Dokumente, die mein Interesse weckten: Auf Adarios Schreibtisch fand sich die Thesis eines Rituals, für welches wir Andeutungen bereits in Korrespondenz von ihm in anderen Räumen hatten entdecken können. So schien es, als wolle er Kasmyrs Astralleib von seinem Körper trennen, um sich einerseits seine anscheinend mittlerweile ungemein großen magischen Kräfte einzuverleiben und andererseits seine Seele in die Domäne Amazeroths zu schicken, sodass er dort die Plätze mit meiner Mutter tauschen würde. Als würde er glauben, dass er so nach all den Jahren seine verabscheuungswürdigen Verbrechen sühnen könne. Andererseits stieß ich in einer kleinen Kiste auf alte Briefe, die sie an Adario geschickt hatte. Ich möchte an dieser Stelle nicht näher auf ihre Inhalte eingehen, doch sei gesagt, dass sie mein Bild von Adario bestätigten: Ein inkompetenter Stümper und Betrüger, der meiner Mutter über Jahre schöne Augen gemacht hatte, um sie im entscheidenden Moment zu hintergehen. Sie war zu gut für ihn und für diese Welt. Der Gedanke, dass sie nach all den Jahren immer noch in den Niederhöllen für seine Verbrechen büßen musste, versetzte mich jedes Mal, wenn ich gezwungen war, daran zu denken, in rasende Wut. Dieses widerliche Monstrum würde für seine Taten bezahlen.
Nachdem ich jeden einzelnen Spiegel im Raum zerschlagen hatte, zogen wir weiter, denn wir hatten immer noch weder Adario, noch Kasmyr oder gar Morena gefunden. Erneut setzten wir uns gegen die Macht der Illusionen Iribaars zur Wehr und gelangten schließlich ins Rondell, welches die innere Seite des Turms ausfüllte. Eine große Treppe führte ins nächste Stockwerk, und an beiden Seiten waren Galerien, die alte Portraits der Vorfahren der Adelsfamilie, die hier vor der borbaradianischen Invasion lebte, darstellten. Ehe wir uns umsehen oder weitergehen konnten, waren Schritte zu vernehmen: Plötzlich brachen Achaz und Wulf in den Raum und einige Sekunden später drangen von oben Arlin in Begleitung einer Heerschar korrumpierter Dschinne und einige Soldaten ein. Ich tat mein Menschenmöglichstes und gemeinsam gelang es uns Achaz zu töten, Wulf auf Distanz zu halten und auch Arlin schwer zu verwunden. Doch im Angesicht der feindlichen Übermacht und mit dem geschwächten und schutzbedürftigen Deveron an unserer Seite, schien ein strategischer Rückzug angebracht: Wir begaben uns zurück in den Kerker, wo ausgerechnet Morena auf uns wartete. Welche Freude, sie endlich wieder zu sehen! Gleichwohl die Umstände anders waren, als ich es mir erhofft hatte, genoss ich ihre Nähe und Vertrautheit für einen kurzen Augenblick. Doch wir hatten nicht viel Zeit: Morena erklärte mir, dass Ardario darauf hoffte, dass ich das Ritual umsetzen würde, um Lyndia zu befreien. Und gewiss, würde ich es nicht tun? Es missfiel mir, dass ich mich an dieser Stelle zum Erfüllungsgehilfen dieser Kreatur machte, aber sollte ich diese einmalige Gelegenheit, die Seele des Dämonenbalgs Kasmyr gegen jene meiner Mutter zu tauschen, wirklich ungenutzt verstreichen lassen?

Ich würde es tun und so führte sie mich in eine geheime Kammer, wo eingeschlossen in einem Bannkreis der ohnmächtige Kasmyr lag, neben ihm jenes verfluchte Artefakt, welches einst die Seele meiner Mutter verschlungen hatte. Es galt schnell zu sein, doch bevor ich handeln konnte, war es Nacladaria, die mich zurückhielt. Die kindliche Zuneigung, die sie gegenüber ihrem „Bruder“ hegte, war auf einer gewissen Ebene nachvollziehbar, doch spielte sie nicht länger eine Rolle. Der Junge war an die Niederhöllen verloren und ihn gegen die Seele meiner Mutter einzutauschen, war eine einzigartige Chance, die sich so nicht wieder bieten würde. Doch war die Situation vielleicht zu gut? Ehe ich zur Tat schreiten konnte, stürmte ausgerechnet Seghal in den Raum. Seine Sicht der Dinge wich deutlich von der ab, die sich aus den Aufzeichnungen Adarios ergeben hatte. War Kasmyr wirklich kurz davor, einen Pakt einzugehen oder waren wir schlicht den Lügen und Täuschungen jenes verderbten Iribaar-Dieners auf dem Leim gegangen? Mit einem mächtigen Blick aufs Wesen bestärkte Magister Ambareth die Position Seghals. Der Junge schien den Niederhöllen deutlich ferner, als Adario dies nahegelegt hatte. Ich nahm diese Information nur widerstrebend auf, denn es galt nach wie vor die Seele meiner Mutter zu retten. Dass sich das einzige Opfer gerade aus moralischen Gründen disqualifiziert hatte, setzte mich unter Zugzwang. Kurz fiel mein Blick auf die horasische Soldatin, die uns bis hierher begleitet hatte, doch ehe ich diesen Gedanken vollenden konnte, erbat sich Seghal, an Stelle seines Sohnes geopfert zu werden. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Konnte ich ein solches Heldenopfer wirklich akzeptieren? Es war klar, dass wir früher oder später einen Weg finden müssten, ihn zu befreien, aber für den Moment zählte nur, dass ich das Ritual durchführen konnte.

Das Ritual begann und zu dritt führten wir den Zauber im Unitatio durch, vollführten Gesten und sprachen die Worte, bevor ich den Ritualdolch (entwendet aus dem Zimmer Adarios) zückte und zu Seghals Kehle führte. Doch bevor ich ihn opfern konnte, zerbrach das blinde Glasfenster zum Balkon und Adario erschien, eine Hand zum Invercano erhoben, in der anderen seinen Stab. Es war reiner Hass, der von diesem Moment an mein Handeln bestimmte: Meine Zweililie auf das Artefakt gerichtet, drohte ich, alles hier und jetzt zu beenden. Das Ritual gescheitert, die Seele meiner Mutter auf ewig in den Niederhöllen gefangen, hätte ich ebenso viel verloren wie Adario, doch für einen kurzen Moment zeigte meine Demonstration Wirkung. Er verlor die Contenance und mit der Kraft des Almadinenen Auges schleuderte ich ihm einen Kugelblitz destruktiver Energie entgegen, der all das kanalisierte, was das Schicksal mir diesem Mann zu sagen über 40 Jahre verwehrt hatte. Ich dachte nicht weiter darüber nach, als ich ihn unterstützt von Magister Ambareth und Nacladaria in Richtung des Artefaktes schleifte, überlegte nicht bewusst, ob die Wirkung des Rituals unter diesen Umständen überhaupt garantiert wäre, ich handelte schlicht und mit der rohen Kraft meines Willens, zwang ich Adario Paligan in die Iribaars totes Spiegelreich, den einzigen Ort, an dem dieses Monstrum wahrlich heimisch war.

Und dann sah ich sie. So, wie ich sie immer wieder aufs Neue aus meinen vagen Vorstellungen rekonstruiert und zu Papier gebannt hatte. Sie schien keine Erinnerung an ihr Martyrium zu haben, als sie die siebte Sphäre verließ. Für kurze Zeit konnte ich mit ihr sprechen und ich wusste, dass es an mir war, ob ich ihre Seele gen Alveran ziehen ließ oder sie in das nun leere Gefäß bannte, dass einst Adarios Körper gewesen war. So sehr ich sie auch wiedersehen wollte, verstand ich, dass es in diesem Moment nicht an mir war, den Lauf der Dinge aufzuhalten. Ich ließ sie ziehen, Morenas Hand fest in meiner.
Wir flohen mit Hilfe eines Erzdschinns und eines untoten Golems gemeinsam aus Widharsrodt, Morena, Seghal und Kasmyr an unserer Seite. Aus der Distanz sah man, wie die lichterloh brennende Burg in sich zusammenzubrechen begann. Ich blinzelte mehrfach. Es war vollbracht.


  16. Peraine 1010 BF