Aequitas' Diarum: 2. Efferd 1011 BF

Aus Die Sieben Gezeichneten
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Es ist einige Zeit vergangen, seit ich zum letzten Mal die Gelegenheit fand, meine Aufzeichnungen fortzuführen. Der Vorsprung, über welchen Satinav zu jenem Zeitpunkt verfügte war für meinen Geschmack bereits zu groß, doch vom Datum meiner letzten Eintragung zurückblätternd ist es kaum zu verleugnen, dass er nunmehr nahezu uneinholbar geworden ist. Insbesondere, da sich zumindest ein Teil der Geschehnisse, die sich seit unserer Ankunft in Khunchom ereigneten beileibe nicht schnell zu Papier bringen lassen wird. Aber was bitte soll ich ansonsten auf dieser götterverlassenen Burg treiben? Die Belagerung Eisenraths dauert an und ich bereue Tag für Tag ein Stück mehr die Absenz eines guten Buches.


Wir waren endlich in Khunchom angekommen. Das Schwert war den beringten Wurstfingern eines Magus der hiesigen Akademie anvertraut worden, gleichsam war es meinem weißen Auge ergangen. Dem Handel war das traditionelle des Feilschen vorangestellt, welches jedoch in diesem Fall zu einer solche Orgie ausartete, dass ich irgendwann die Geduld verlor und mich nur mühsam zurückhalten konnte, den Handel platzen zu lassen. Mag es auch sein, dass ich hier in Fasar mein Leben verbracht hatte, in solchen Momenten erscheint mir die tulamidische Kultur geradezu fremdartig.

In vielen eingehenden Untersuchungen im Rahmen meiner Forschung der letzten Jahre bin ich immer wieder darauf gestoßen: Die ersten Jahre des eigenen Lebens, diese Frühzeit; in unseren Köpfen ist sie präsenter als wir denken. Dass wir die Bilder jener Zeit nicht heraufbeschwören mögen, wie es uns wohl mit der gestrigen Boltan-Partie möglich wäre, hat dabei jedoch seine Gründe. Verdrängt und verschlossen sind die grausigen Momente der Hilflosigkeit, des vollkommenen Angewiesen-seins auf die eigene Mutter, als die eigene Beschränktheit und Schwäche jedes Gefängnis überflüssig machte und uns selbst die Gnade der Artikulation versagt blieb. Grausam ist die junge Göttin Tsa wohl zu nennen, wenn dieser postnatale Unsegen ihr Werk ist. Wären wir dauernd mit der Erinnerung an jene Jahre konfrontiert, ich bin mir sicher, wir wären längst alle im Noionitenkloster siechend dem Wahn preisgegeben.

Gütig ist da das Vergessen, besser noch, das scheinbare Vergessen, denn wie bereits angedeutet, scheint diese Zeit, je nachdem wie und wo sie verlief tiefste Spuren in einem Menschen zu hinterlassen und ihn stärker zu beeinflussen, als es die Magica Controllaria jemals könnte. Nur machtvollste Hellsichts- und Herrschaftsmagie bahnt sich einen Weg in jene Untiefen des Geistes, in denen die Gedanken und Bilder jener Zeit versunken liegen. Und wer in diese Kern vorgestoßen ist, der weiß um das Wesen des Menschen. Ich bin mir sicher, dass wir kaum weiter suchen müssten, um schließlich auch den theoretisch angenommenen wahren Namen endlich zu finden, doch auch mir sind Grenzen gesetzt.

Mochte mir auch das Erbe der Kophtanhim anvertraut worden sein, in derlei Momenten erlebte ich, welch Einfluss doch mein südaventurisches Blutgemisch auf mich haben konnte. Dieses mhanadische Krämertreiben schien unter meiner Würde: So ritualbehaftet das Zusammentreffen, so gestelzt die Höflichkeit, so verlogen jedes Wort.

Trotzdem: Als ich dieses eine Mal meine „Heimat“ bereiste, ich, nachdem ich gerade den letzten Dukat meiner Schulden getilgt wusste, mir erneut größere Summen bei der Akademie lieh und ich Al’Anfa, Brabak und Mirham schließlich mit eigenen Augen sah, blieb mein Bild so zwiegespalten, wie das der Kultur, die mich großzog. Ob es mir im Lieblichen Felde oder im Yaquirtal ähnlich erginge? Manchmal wünschte ich mir, ich wäre mir meiner Wurzeln sicher und könnte stolz auf sie sein, mich mit ihnen identifizieren und aus ihnen all meine weltanschaulichen Positionen ableiten, so wie es Sahibilius stets tat. Aber statt in ein namhaftes Elternaus hineingeboren zu werden, bin ich ein Kind des Zweifels geworden, nirgendwo wirklich zu Hause, mit einem gespaltenen Verhältnis zu nahezu allem, was dero existiert. Ich habe keinen Glauben, kein Göttervertrauen, alles, was mir bleibt ist die Philosophie.
Beneidenswert ist der Dumme, dem die Kontingenz ein Fremdwort bleiben mag.


Ich kann nicht wirklich davon sprechen Fortschritte erzielt zu haben, doch verbittert mich dieses andauernde Sinnieren in letzter Zeit zusehends. Es muss diese götterverfluchte Belagerung sein, die mein Gemüt bedrückt und mich in meinem Text nicht voranschreiten lässt! Unter Umständen fällt es mir auch schlichtweg schwer, die folgenden Ereignisse angemessen zu paraphrasieren. Doch sei es, wie es will, morgen ein neuer Versuch.


21. Ingerimm 1010 BF Fortsetzung folgt →