Aequitas' Diarum: 21. Ingerimm 1010 BF (kurz nach Mitternacht)

Aus Die Sieben Gezeichneten
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Augenscheinlich waren die Da Merinals noch nicht in Khunchom angekommen. Man sagte mir, sie kämen im Verlauf des morgigen Tages. Hoffentlich lassen sie sich nicht allzu viel Zeit. Nun denn, die Nacht ist noch jung und ich habe keine weiteren Pläne mehr, als in meiner an die Al’Anfanische Mode angelehnten, frisch geschneiderten Robe hier zu sitzen und zu schreiben.

Ich möchte nicht übertreiben, doch handelte es sich bei den Chroniken von Ilaris, welche (nicht in ausreichendem Maße) Gegenstand meiner letzten Betrachtungen waren, um ein Werk, das mich meine innersten Wertmaßstäbe ihrem Grunde nach hinterfragen und mich auch bis zum Tag dieser Niederschrift in einer unwürdigen Schwebe ließ, wie ich in Zukunft mein Handeln noch mit meiner Moral vereinbaren sollte. Gewiss las sich dies am Ende der letzten Niederschrift anders, aber ich vertrat zu diesem Zeitpunkt noch eine andere Auffassung davon, wie detailliert und privat diese Aufzeichnungen werden sollten. Inzwischen setze ich mir keine Grenzen mehr. Die letzte Woche hatte mich näher an Wahnsinn und Macht, an Staub und Sterne geführt, als es mir lieb war. In diesem Sinne: Keine Schranken mehr, ganz gleich welcher Art. Politik und Philosophie werden in Zukunft den Rang und Namen innerhalb dieser Aufzeichnungen erhalten, der ihnen geziemt. Sollte nicht ein unsterbliches Ich dieses Werk eines Tages mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen lesen mögen, so soll es mein Fanal für die Nachwelt sein, ein Manifest gegen den widerlichen Geist einer Zeit in all ihrer Unvernunft!
Aufgewühlt, bis weilen auch katatonisch, versank ich immer wieder in Gedanken und war während unserer Weiterreise gen Khunchom nur selten zu einem ernstzunehmenden Gespräch in der Lage oder auch nur dazu aufgelegt. Gewiss, nach außen hin gab ich mich charmant und selbstsicher wie eh und je, wäre jedoch einer meiner Mitreisenden im Besitz ähnlich mächtiger Fähigkeiten, wie es sich meine Wenigkeit zu rühmen pflegt und damit in der Lage, mein Innerstes zu ergründen und meine tiefsten Ängste und Sorgen zu offenbaren, er hätte gegenwärtig wohl nur wenig Spaß in meinem Hirn gehabt.
Mein Kernproblem sei an dieser Stelle kurz erläutert, die Vorfreude dadurch verdorben, dass ich ergänze, es auch bis heute nicht gelöst zu haben. Von einer Dämokratie zu sprechen, erfordert gleichzeitig auch, von Gleichheit zu sprechen. Bereits mein Name impliziert dies, welch Ironie! Doch wie rechtfertige ich Gleichheit in einer Welt in der die fundamentale Inequalität regiert? Dass der mittelländische Zuckerbäcker und der Al-Anfanische Grande gleich sein mögen und sich der Geburt nach kaum von den Witzfiguren des Garether Kaiserhofs unterscheiden, mag ich anerkennen. Ich bin (irgendwie) immer noch ein Zeforika, auch wenn ich das beim Blick in meinen Geldbeutel nur selten glauben mag und in diesem Sinne kann man noch so viel Tamtam um seine ach so edle Herkunft machen, ich weiß, dass das was zählt letztlich Geld, Macht und Glaube sei. Nun, ungeachtet dieser Einsicht, der Punkt, an dem meine Überlegung scheitert ist ein anderer, denn was ist in dieser Betrachtung nun der Stand meiner Brüder und Schwestern, die wir mit einer einzigartigen Gabe gesegnet sind? Negieren wir alle Standesunterschiede, nivellieren wir die Bildung, vergegenwärtigen wir uns einfach nur eine endlos lange Reihe von Mittelländern, Tulamiden, Torwalern und wie sie alle heißen mögen, nein besser: Stellen wir uns vor, sie wären alle Kinder, die zum ersten Mal das Licht der Welt erblickten. Was könnte nun eine beliebige höhere Entität festzustellen vermögen, das es eine Separierung dieser kleinen derischen Geschöpfe rechtfertigt? Wonach könnte es entscheiden, wer besser und wer schlechter gestellt sei in einer optimalen Gesellschaft? Die Herkunft der Eltern? Lachhaft. Ob das kleine rotes, braunes oder schwarzes Haar hat? Lächerlich. Das einzige, was distingiert, sind Fertigkeiten. Doch inwieweit sind diese nicht auch erst das Ergebnis langwieriger Erziehung? Ist es nicht selbstverständlich, dass ein Kinde, welches in den Adelsstand des lieblichen Feldes geboren ist und Tag für Tag, Jahr für Jahr, von frühester Zeit an auf den Kampf mit dem Rapier und dergleichen hin gedrillt wurde, diese Waffe besser beherrschen mag, als ein gleichaltriger Bauerntölpel, der seine Zeit damit zubrachte auf dem Acker für das Auskommen des Adelssprosses und seiner Familie, seines Schwertkampflehrmeisters, etc. zu schuften? Dass ein garethischer Bäckersgeselle Jahre lang nur Bretzeln bug und dementsprechend wenig dem geschärften Intellekt eines Hesindenovizen entgegenzusetzen mag? Es ist alles eine Frage dessen, welche Opportunitäten sich bieten, die eigene Zeit sinnvoll zu nutzen. Und diese bestimmt man insbesondere in frühen Jahren wohl kaum selbst, gerade in der Phase des Lebens, in der man, so ich das wohl aus eigener Erfahrung sagen kann, am meisten lernen mag, in dieser Zeit ist es reines Glück, welche Chancen das Leben bietet. Eine Art angeborenes Talent ist da wenn überhaupt zweitrangig. Was bringt der Lustsklavin an der Al’Achami ihre theoretisch angenommene Befähigung zur Seefahrt?
Insofern sind es wohl doch nicht die Fertigkeiten, die es rechtfertigten, die Gleichheit der Menschen in Frage zu stellen, doch viel eher problematisch sind die Fähigkeiten, die ein Aventurier besitzt und damit zuvörderst die eine Gabe, über die zu verfügen eine Frage des Glücks allein ist: Die Magie (den Aspekt, dass Magier anscheinend deutlich häufiger magisch begabte Kinder zeugen, als dies beim allgemeinen Pöbel der Fall ist, sei hierbei einmal dem Faktor des Glücks zugeschlagen, wobei die eugenischen Schlüsse, die sich daraus ergeben, hoch interessant sind und einer späteren weitergehenden Betrachtung erfordern, wie es scheint.).
Beim besten Willen will mir nichts einfallen, was die Menschen bei Geburt ansonsten voneinander unterscheiden mag. (Dass ich hierbei nicht die Schuld- oder Feudal-Sklaverei erwähne hat durchaus seinen Grund; sie mag zwar auf diese oder jene Weise allgemein Geltung besitzen, ist jedoch alles andere als apodiktisch gesetzt. Zu ihrer Widerlegung kann ich nur an Ilaris verweisen.) Ich kann mir diesen Schwachpunkt ilaristischer Argumentation nicht erklären: Die Magie macht die Menschen nun einmal von Geburt an ungleich! Es gibt nur zwei Wege, dies nicht zu akzeptieren und sie gefallen mir beide nicht besonders, denn einer führt auf Pfade ohne Namen und der andere direkt in die Arme Bor Barads. Und Atherion legte immer wieder dar, dass derjenige, der sich dergleichen sinistren Künsten bedienen mag, schnell zum Sklaven höherer Mächte wird, ob da stimmt, durfte ich bisher nicht herausfinden, wirklich Begeisterung für den entsprechenden Versuch mag ich jedoch auch nicht hegen... Wenn es eine Möglichkeit jenseits dieses Wahnsinns gäbe, den Menschen allgemeinen Zugang zur Magie zu bieten... Dann bestünde dieses Dilemma nicht. Doch so ist das einzige, was mir wirklich gangbar erscheint eine Art Magokratie, in welcher das aktive Wahlrecht nur Magiern zugebilligt wird. Doch so eine Zwei-Klassen-Dämokratie ist aus der Historie, zwar auf dem Fundament des Geldes und nicht der Magiebegabung gründen, durchaus bekannt und sie missfällt mir. Denn wäre nicht auch kluge Wahlherrschaft von Nicht-Magiern denkbar?
Ich wusste es wirklich nicht und hier ließ mich jede historische Erfahrung im Stich. Der Gleichheitsgedanke hatte so einige Tücken. Ich würde ihn wohl weiter sezieren müssen, bis er sich mir vollständig in seiner (Im)Praktikabilität erschlossen hätte.
Das war jedoch nun also mein eigentliches Problem, die Tatsache, dass alle hehre Moral (insbesondere die theoretisch fundierte Kritik der Sklaverei und mein praktisch doch eher affirmatives Verhalten im Umgang mit insbesondere Akademie-Sklavinnen und Sklaven) in Anbetracht meiner Praxis etwas scheinheilig wirken könnte, hatte ich im Hinblick auf die Schwierigkeit und Langwierigkeit der Umsetzung meiner Gedankengänge und Argumentationsstränge, wie bereits im letzten Kapitel erwähnt, zumindest komplett von mir weisen können.
Um von hier wiederum den Bogen zu den eigentlichen Geschehnissen zu schlagen, sei nochmals erwähnt, dass ich die meiste Zeit in Gedanken verbrachte und somit während des kurzen Abschnittes unserer Reise, welchen wir flussabwärts auf einer kleinen Schaluppe zurücklegten, kaum ein Auge für die wunderschöne und historisch hochinteressante Umgebung hatte. Erst ein Geschichtenerzähler mit Namen Dschelef ben Khadilim ließ mich gewahr werden, dass wir uns in der Nähe der Ruinen der legendären Kophta-Stadt Zamorra befanden und bald darauf die Furt der Klagen passieren würden, der tragische Ort der Niederlage des Diamentenen Sultanats gegen das Bosparanische Reich unter Murak Horas. Gewiss keine gute Erinnerung, nichts desto trotz sind mir die Horati und ihre Ahnen immer noch gefälliger als die kulturlosen Mittelreicher. Ja, ich möchte fast sagen, dass ich mich ihnen und der, wie ich höre, starken Hinwendung zu Nandus und progressiven Strömungen der Hesinde- und Rahja-Kirche sehr verbunden führe. Wenn ich erst einmal in Punin wäre, würde ich im Anschluss an meinen Akademie-Aufenthalt eine längere Bildungsreise durch das liebliche Feld unternehmen, so nahm ich mir vor. Vinsalt, Belhanka, Kuslik, Grangor, selbst die Zyklopeninseln wären sicherlich einmal einen Besuch wert. Mag die Bruderschaft der Wissenden dort auch eher schwach vertreten sein, bin ich mir sicher, dass, wenn die Vernunft dort weiterhin derart auf dem Vormarsch ist, die Gründung einer Akademie der Linken Hand in den dortigen Gefilden nur eine Frage der Zeit ist.
Nun denn, unsere Seereise setzte sich fort und die Route sah es vor, dass wir über Samra den Landweg einschlagen würden, was eine wirklich herausragende Gelegenheit war, sich die bereits erwähnten Ruinen Zhamorras einmal in Personam anzusehen. Dschelef ben Khadilim begleitete uns, doch letztlich war ich für meinen Teil zumindest relativ enttäuscht. Ich gebe zu, dass ich mich vielleicht von der Vielzahl von Phantasmen, die mir in den letzten Wochen zugestoßen waren, in die irre hatte führen lassen, denn ich hatte insgeheim auf bisher verborgene geheime Gänge gehofft, die in mystische Untiefen führten, die seit Jahrhunderten kein Mensch mehr betreten hatte und die Schätze und Geheimnisse von unschätzbarem Wert bergen würden... Nun, nichts dergleichen, einige staubige, halb zerstörte Statuen und Säulen, der eine oder andere Steinblock, dessen wohl einst fein ziselierte Intarsien von Wind und Sand glatt geschmirgelt worden waren, das war alles. Bei näherer Betrachtung etwas unwohl stimmten mich die in Zhayad an einige der Säulen angebrachten Bs (rückblickend erscheinen sie mir noch beunruhigender, als sie es damals taten), doch förderte eine magische Analyse nichts interessantes an ihnen zu Tage und so begaben wir uns zurück nach Samra. Eigentlich war mir nach den Tagen an Bord des kleinen Schiffchens etwas Ruhe auf festem Boden mehr als Recht, aber diese sollte mir nicht vergönnt sein: Mitten in der Nacht weckte mich das Wiehern von Pferden gepaart mit Kampfeslärm.
Es war eine Horde elender Reiternomaden, die den Ort unseres Schlafes angriff, plünderte und brandschatzte. Gut 30 Novadi auf ihren Shadifen töteten, was ihnen unter die Krummsäbel kam, Geschrei lag in der Luft, ich roch verbranntes Fleisch.
Nun gut, auch im Angesicht der Übermacht vermag der fähige Adept immer noch die Situation messerscharf und glasklar einzuschätzen, um zu dem Schluss zu kommen, dass hier, einer alten Redensart folgend, kein Blumentopf zu gewinnen sei: Die Verteidiger des Dorfes waren überrumpelt, in der Unterzahl und maßlos überfordert, dass vier Kämpfer hier die Wende brächten schien unwahrscheinlich. In conclusio eine gute Gelegenheit für einen strategischen Rückzug, so dachte ich zumindest, doch da sah ich meine in ihrer todesverachtenden Dummheit fast wiederum bewundernswerten Gefährten bereits mit gezückten Klingen aus dem Gasthaus stürmen und sich auf die Reiter stürzen. Ich seufzte, zuckte mit den Schultern und stürzte mich ins Gefecht.
Zu ihrer Verteidigung sei zu erwähnen, dass Leomar, Yerodin und Sharim sich zumindest einen zielgerichteten Weg gen Scheune, ergo gen unserer Pferde freizukämpfen versuchten, was gegen die drohende Überzahl wohl ein Alveranskommando gewesen wäre, doch durch die geradezu spektakuläre Wirkung, die Zauber wie ein „Blitz dich find“ auf Tiere haben, gelang es mir, einen nicht unwesentlichen Teil zum Überleben unserer wackeren Truppe beizutragen. Günstig und en masse gewirkt vertrieb er Shadif um Shadif, welche sich idealerweise noch vorher aufbäumten und dabei ihren Reiter in den Staub warfen oder gar mitschleiften. Doch bekanntermaßen ist der astrale Kraftspeicher eines Magiers begrenzt und viel zu schnell war das Gros meiner Astralenergie aufgezehrt und ein rythmisches Zerren hinter meiner Schädeldecke erschwerte jegliche sonstige Form der Konzentration. Die Mehrzahl der Reiter war ausgeschaltet, doch für die wenigen, die noch übrig waren und sich unser angenommen hatten, fehlte mir nun die Kraft, auf einer körperlichen Ebene ging es den anderen kaum anders. Wir waren in die Ecke gedrängt und saßen in der Falle.
In solchen Momenten, die zu zählen ich in den letzten Monaten irgendwann aufgehört habe, opfert man das letzte Fünkchen geistiger Disziplin, welches im Angesicht des nahenden Todes noch zu mobilisieren ist, um die verbotenen Pforten im eigenen Geist zu öffnen, die, wenn jede andere Hoffnung verloren scheint, das eigene Blut in reine Astralkraft verwandeln, doch im jenem Moment gelang es mir einfach nicht, so sehr ich es auch probierte. Ich gestehe es, ich war in Panik und begann mich für den Nahkampf zu wappnen, was ungefähr dem Abschluss mit meinem Leben entsprach.
Doch plötzlich, im narrativ so überstrapazierten, aber in dieser Sekunde doch so treffenden, letzten Augenblick, vernahm ich ein gellendes, ich mag es kaum anders beschreiben... „irdenes“ Brüllen, dass vielmehr an einen Steinschlag als an eine menschliche Kehle gemahnte und einen dumpfen Schlag sowie lautes Wiehern nach sich zog. Wenige Sekunden später schrie eine mir wohlbekannte Stimme „ARCHOFAXIUS ERZENSTRAHL!“ und zwei der Novadireiter, die uns gerade noch zu überwältigen drohten, wurden buchstäblich von ihren Pferderücken gefegt, als eine Lanze aus Geröll, Gestein und kleinen und größeren Metallbrocken in allerlei Farben ihre Brust traf. Die anderen ergriffen reflexartig die Flucht und taten sich schwer, ihre Reittiere noch im Zaum zu halten. Was bei allen...
Vor uns stand Dschelef ben Khadilim, neben ihm schwebte etwas, dass ich unschwer als Dschinn erkennen konnte.
„Gestatten, Dschelef ibn Yassafar ist mein Name.“, sagte er mit bemerkenswerter, fast amüsierter Unbekümmertheit in der Stimme. Vor uns stand niemand Geringeres als die Spektabilität der Al'Pandjashtra zu Rashdul.
Am nächsten Tag setzten wir unsere Reise fort. Noch in der Nacht hatte ich begonnen, Dschelef ibn Yassafar, rücbklickend eventuell ein wenig aufdringlich, Frage um Frage zu stellen. Einen der renommiertesten Elementaristen des ganzen Kontinents und wir waren unwissend seit Tagen in seiner Begleitung gereist! Ich hatte viel nachzuholen, es galt einen unerschöpflichen Durst nach Wissen zu stillen. Es gelang mir dabei nicht übermäßig viele Erkenntnisse zu Tage zu fördern, denn Yassafar ward meiner Quaestio ohnehin bald überdrüssig, doch erkaufte sich dieser überaus höfliche und bescheidene Mensch mein Schweigen teuer: Meine letzte Frage betraf den von ihm gewirkten Archofaxius und die Verfügbarkeit der entsprechenden Thesis. Es war ein Schuss ins Blaue gewesen, fast mehr ein Witz, doch seine Spektabilität willigte ein, mir eine Kopie der Thesis nach Fasar schicken zu lassen. Damit hatte er mich in der Tat aus dem Konzept gebracht, denn ich wusste nun wirklich nicht, wie ich auf eine derartige Geste reagieren sollte. So zog ich es im Folgenden vor, das Wort lieber nicht mehr zu ergreifen und das gerade gewonnene Privileg zu verarbeiten.
Lange hatte Dschelef ibn Yassafar jedoch keine Ruhe, denn schon bald fragten ihn die anderen nach weniger theoretischen Belangen, als sie vielleicht meinem Naturell entsprechen mögen. So kam zumindest der Grund seiner Rashduler Vakanz ans Licht, denn er befand sich gegenwärtig auf der Suche nach einigen archäologischen Relikten, welche wohl in einem Tempel bei Borbra zu finden seien. Er bot uns sogar an, ihn dorthin zu begleiten, läge es doch quasi auf dem Weg nach Khunchom und hätte sich der Herr dieser Lande doch immer als hervorragender Gastgeber herausgestellt. Er sprach von niemand geringerem als Baron Tarlisin von Borbra.
Die proklamierte Gastfreundschaft des hochgelehrten Herrn sollte sich jedoch auf absehbare Zeit nicht als erweisbar zeigen, weilte er doch zum Zeitpunkt unserer Ankunft in dem nach ihm benannten Dorfe, von welchem aus er seine Staatsgeschäfte zu lenken pflegte, gerade in Achopal. Dass diese Tatsache kaum negativ ins Gewicht fiel, mag wohl der Gattin des Harani, Mara ay Samra geschuldet sein, die Travia selbst in nichts nachstehen mochte: Sie bat uns in ihr Anwesen (das im Übrigen mit einem uralten Baum verwachsen schien, für meinen Geschmack zu elfisch, aber von einer neutralen Warte aus durchaus anzuerkennen) und ließ in kürzester Zeit ein Festschmaus regionaler Köstlichkeiten auftischen, von deren Qualität wir uns schnell überzeugen durften. Ein ausgezeichnetes Mittagsmahl mit angenehm ungezwungen- aber doch geistreicher Konversation, wie man sie bei Tische des mittelreichischen Adels wohl kaum erwarten durfte, auch wenn mich die hin und wieder eingestreuten Avancen, welche sie ganz beiläufig sowohl mir als auch Sharim machte, leicht irritierten. Gewiss, ich bin kein Mensch von Traurigkeit, im Gegenteil, doch erschienen mir solche eindeutigen Andeutungen ein wenig deplatziert. Gewiss, der Traviabund ist keine Institution, der ich irgendeine Form von Respekt schulde, aber mich im Hause eines anerkannten Graumagiers von dessen Frau betören zu lassen, dabei war mir dann doch nicht ganz wohl, das jedoch wirklich nur am Rande, das Gesamtbild blieb mehr als positiv.
Als unsere Gastgeberin auf die Gründe unserer Anwesenheit zu sprechen kam, erzählte Dschelef ihr von der Tempelruine, welche sich in der Nähe von Borbra befinden sollte. Mit dem Fundort eines Tempels konnte die Harani zwar nicht aufwarten, jedoch war ihr ein Flusslauf bekannt, an welchem sie oder ihre Untertanen (im Angesicht einer fähigen Maga als Herrscherin verliert dieses Wort gleich seinen sonst so negativen Beiklang in meinen Ohren) hin und wieder Fragmente alter Steintafeln fänden. Wir baten darum, einen Blick auf eine dieser Tafeln werfen zu dürfen und Dschelef geriet ob ihres Anblicks in Wallung. Dieses Relikt ähnelte eindeutig dem, welches auf Umwege in seinen Besitz gelangt war und ihn erst hier her geführt hatte. Mara ay Samra bot an, uns am morgigen Tag zu dem Fluss zu führen, wo die Fundstücke aufgetaucht waren, ich willigte sofort ein, bevor einer meiner Gefährten auch nur die Chance zur Insistenz gehabt hätte. Mir war klar, dass eigentlich kein Grund zum Zögern bestand: Das Schwert müsste zu Hal zurückgebracht werden und dafür hätten wir nach Khunchom zu eilen. Doch zwei Gründe sprachen im Kern für mich dagegen: Einerseits war es mir relativ gleich, wie tief die Kerbe nun sein würde, die die Orcs dieses Jahr ins Mittelreich schlügen. Andererseits: Eine illustre Spektabilität und die Aussicht auf längst vergessene Ruinen tulamidischer Hochkultur – Wie hätte ich da widerstehen sollen?
Für den Rest des Tages zog ich mich zurück und übte meinen Accuratum. Ich war alleine, Mara hatte die anderen zu einem Jagdausflug mit ihren Leoparden eingeladen (die mir, bis sie uns explizit auf sie aufmerksam machte, zum Glück entgangen waren, wie sie vor dem Kamin dösten) und genoss die Ruhe, die sich auf der ganzen bisherigen Reise von Fasar hier her nicht wirklich hatte einstellen wollen. Als die anderen am Abend zurückkamen packten wir unsere Sachen für eine kleine Expedition und machten uns (viel zu) früh am nächsten Morgen auf den Weg.
Die Harani brachte uns zu einem kleinen Wasserstrom, in einer ansonsten relativ kargen Gegend, die von steinernen Plateaus und Felsnadeln dominiert war, ein gutes Dutzend Meilen von Borbra entfernt. Mit dem Hinweis auf ihrer Verpflichtungen machte sie sich dann jedoch auf den Rückweg, warf Sharim und mir jedoch ein weiteres Mal einen vielsagenden Blick zu.
Wir durchkämmten von dem Bach, zu dem sie uns geführt hatte, aus das Umland und schließlich stießen wir auf eine Klamm in einer Felswand, die nach einigen Metern in ein größeres, aber trotzdem gut verstecktes Tal mündete. An dessen Ende stand ein gedrungener Turm aus Stein. Fast wirkte es, als wäre er direkt aus dem Felsen gehauen. Wir hatten unsere Ruine gefunden.
Vorsichtig begannen wir, das Innere des Turmes zu erforschen. Auf einen großen, staubigen Raum, der anscheinend eine Eingangshalle darstellte und an dessen verwitterten Wänden sich wohl dereinst Inschriften befunden haben mussten folgte eine Treppe, die einige Schritte nach oben führte. Die ersten Ergebnisse waren ernüchternd, aber vielleicht war weiter oben ja mehr erhalten geblieben. Doch gerade als Leomar mit Schwung voran die ersten Stufen betrat, vernahm ich ein leichtes Knacken. Noch bevor ich irgendwie reagieren konnte, war daraus ein lautes Krachen geworden, als seit Jahrhunderten nicht mehr belasteter Stein nach unten fiel und man einen erschreckten Schrei vernahm, als unser Ritter vor unseren Augen nach unten verschwand. Schnell rannten wir zu der Stelle, wo wir ihn eben noch gesehen hatten- Die Treppe war über drei Meter Länge eingestürzt, doch darunter befand sich eine Art Raum! Vier Schritt musste Leomar gefallen sein, doch schien es ihm gut zu gehen. Schnell ließen wir die Seile herab und folgten ihm. Unten angekommen verlor sich der „Raum“ in der Dunkelheit, Licht fiel nur noch schwach vom schräg über uns gelegenen Eingang herein. Das hier war ein Gang. Ich konzentrierte mich kurz und wirkte die Fackel auf meinen Stab, Dschelef bemühte einen Flim Flam. In diesem Licht erkannten wir, gut erhalten, urtulamidische Glyphen an den Wänden!
Mögen deine Eingeweide sich in Schlangen verwandeln. Mögen Träume dich nachts nicht ruhen lassen und böse Gesichte dich des Tages verfolgen. Möge jede Speise in deinem Mund zu Maden werden. Mögen deine Kinder sich gegen dich wenden und deine Feinde dein Blut trinken. Möge alles, was du liebst, vergehen. Möge der Wahnsinn deinen Geist zerütten. Möge alles, was du berührst, sich gegen dich richten. ...und ähnlich freundliche Einladungen. Sehr ermutigend. Was war das für ein Ort?
Wir gingen weiter. Ein penetrantes leichtes Scharren und Kratzen, wie von kleinem Getier, hatte sich in den Rand meiner Wahrnehmung geschoben, als wir irgendwann, nachdem sich der Weg bereits zweimal vorher verzweigt hatte (wir garantierten mit Hilfe von Markierungen für unsere Orientierung) und wir einen in vollkommene (magische) Dunkelheit getauchten Raum mit einer bösartigen arkanen Falle überwunden hatten, die in kürzester Zeit die Bodentemperatur um mehrere 100 Grad zu erhöhen wusste (hier half uns nur unsere Gewandheit), in einer Sackgasse landeten. Wiederum in Urtulamidya fand sich dort folgende Überlieferung in den Stein geritzt, soweit ich sie noch aus dem Gedächtnis wiederzugeben vermag:
Und als Assarbad der Mächtige erkannte, dass die Schlacht verloren war, da verriet er seine Getreuen. Ein geflügeltes Insekt, groß wie ein Turm, rief er herbei und ließ sich davontragen aus der Stadt, in der das Blut in den Straßen floss. Die Schergen des Feindes verfielen in Triumphgeschrei, Und während er davon flog, da starb Kadashman-Turgu, Rtachshassa Bel-shar-uzur wurde von einem Zauberschwert der Söhne Sulmans durchbohrt, und des tapferen Nabu-Nasir Atrahasis' Kopf spießten sie auf einen Speer. Und als die Flammen die ganze Stadt Zhamorrah verzehrten, da fiel auch ihr Herr, Enqhirtash-Zaphersisha, genannt Terech'Neriban, der viele Jahre lang treu an Assarbads Statt geherrscht hatte. Und im Moment seines Todes verdunkelte sich sein Herz von Almadin, und er schwor Rache an dem Verräter bis in alle Ewigkeit. Sieben mal Sieben Mogule ermordeten die Diener des feigen Sulman, und wohl neun mal neunundneunzig ihrer Diener, und sie plünderten die Stadt und schändeten seine Hallen und Tempel und raubten alle magischen Schätze. Doch des Moguln Enqhirtas-Zaphersisha Almadin konnten sie nicht finden, und sein Rachefluch wird den feigen Assarbad verfolgen bis zu seinem qualvollen Untergang.
Und nun endlich begriff ich: Das hier war ein Grabmal. Die Ruhestätte eines Magiermoguls. Enqhirtas-Zaphersisha Almadin. Seit Ewigkeiten musste dieser unter der Treppe verborgene Teil des Monuments seiner Entdeckung geharrt haben. Wir weilten in einer Krypta. Doch wo war das Grab? Schnell machten wir uns auf und überprüften die anderen Abzweigungen, welche wir bisher übergangen hatten. Ich biss mir in äußerster Konzentration auf die Lippen. Die Grabbeigaben der Magiermogule waren Stoff von ungezählten Legenden aus Tausend und einem Rausch. Das war eine Chance, wie sie sich mir wohl so schnell nicht wieder bieten würde. Mit Dschelef würde man sich schon irgendwie einigen können. Das einzige, was mir gelinde Sorgen bereitete, war das immer lauter werden Krabbeln an den Wänden. War das eine magische Abwehr? Im Augenwinkel nahm ich ein Huschen war, als sich etwas schnell aus einer Ecke meines Sichtfeldes verzog. Ein Auris Nasis?
Plötzlich blieben wir stehen. Ich war in Gedanken versunken einfach den anderen gefolgt, ohne mich weiter auf den Weg zu konzentrieren. Ich blickte nach vorne. Im Licht meines Stabes (der Flim Flam Ibn Yassafars war inzwischen verloschen) und einiger Ölfunzeln erkannte ich schließlich, dass ich mich getäuscht hatte. Keine Illusion hatte mich genarrt, laut und deutlich vernahmen meine Gefährten und ich nunmehr das Scharren und Kratzen kleiner Beinchen über steinernen Boden.
Gut ein Spann langes Getier, von rötlichem Chitin überzogen, halb Ameise, halb Käfer, krabbelte dort in einem Raum munter vor sich hin, übereinander, nebeneinander; an Decken und Wänden, alles schien davon bedeckt zu sein. Monströse Beißwerkzeuge klackten gierig in unsere Richtung, doch ihren Raum schienen sie nicht zu verlassen.
Dieses Verhalten, diese Ballung und am Ende die Art dieser Wesen selbst: So etwas war nur durch Magie zur erklären – und zwar keine Magie, die mir bekannt war. Das gefiel mir nicht. Trotzdem war die Vorstellung der Schätze, die möglicherweise dahinter lockten, zu reizvoll, wir mussten weiter. Dschelef war zuversichtlich, ihm schien es nicht anders zu gehen. Etwas Lampenöl und ein mächtiger Cantus des elementaren Feuers würden uns weiterbringen, so sagte er uns und begann sich zu konzentrieren.
Das zu beschreiben, was sich nunmehr in den nächsten Sekunden abspielte, fällt mir außergewöhnlich schwer. Meine Erinnerung an diese Geschehnisse ist gleich der ganzen Begebenheit im Tempel eher schlecht als recht, wie es sonst kaum meiner Art entspricht. So muss ich versuchen, mir aus den einzelnen Bildern, welche in meinem Kopf präsent sind und mich die eine oder andere Nacht gar in meine Träume verfolgen sollten, eine kohärente Geschichte zu rekonstruieren oder sie auch nur in die richtige Reihenfolge zu setzen.
Sharim, wie er, trancegleich, an Dschelef vorbeischreitet.
Wie sich unser aller Augen weiteten, als er zum Sprung ansetzt.
Sein linkes Bein zwei Meter von uns entfernt aufkommt.
Sich gierige Beißwerkzeuge in ihm krallen.
Ein weiterer Sprungschritt, tiefer in den Raum.
Sharim, wie er fällt.
Der Schwarm.
Überall ein krabbelnder Schrecken.
Ich war wie gelähmt, zu perplex um irgendwie zu reagieren. Dschelef besaß jedoch die Geistesgegenwart zum Handeln und es sei gesagt, dass Sharim ihm in diesen Minuten gleich doppelt sein Leben verdankte. Zum ersten Mal, als ein Kegelförmiger Ignifaxius den Raum in sein flammendes Licht tauchte und hunderte verkohlte Chitinpanzer zurückließ, eine Schneise in der insektoiden Masse brach, die es uns ermöglichte, eine blutige Masse in Sicherheit zu ziehen. Zum zweiten Mal, als Dschelef all seine verbliebene Kraft zusammennahm, um dieser bemitleidenswerten Kreatur vor uns wieder neues Leben einzuhauchen. Menschen von der Schwelle des Todes zu retten, erfordert enorme Mengen Konzentration und magischer Kraft. In akuten Fällen soll gar ein Teil der Astralkraft des Retters permanent in den Todgeweihten übergehen müssen, um ihn zu erretten. Falls dies tatsächlich auf gewisse, besonders schwere Fälle zuträfe, dieser zählte mit Sicherheit dazu. Doch auch wir gaben unser Scherflein: Ich wob einen weiteren Balsam, Yerodin betete und Leomar tat auf profanem Wege, was er konnte. So gelang es uns, Sharim zu retten. Doch als das Schlimmste gerichtet war, blieb sein Anblick nichts desto Trotz erbarmungswürdig. Über und über von Bisswunden überdeckt, würde sein Gesicht Narben bilden, von denen ihn kein Balsam befreien könnte. Er war nunmehr gezeichnet, sein gepflegtes Äußeres verschwunden durch ein Stigma, dass dem des Pockenopfers kaum nachstand. Warum er sich in diese vollkommen sinnlose Gefahr begeben hatte? Ich wusste es nicht. Vielleicht war es mächtige Herrschaftsmagie gewesen? Vielleicht Dummheit?
Nach einer Weile waren die gerösteten Käfer unter einer Woge neuer kleiner Krabbeltiere verschwunden, die den Blick auf die ausgebrannten Chitinpanzer fast zur Gänze verbargen. Wir waren am Ende mit unseren Kräften, Dschelef und ich hatten sich nahezu vollständig verausgabt und wer wusste, was noch in diesem Grabmal lauern mochte? Hierfür brauchten wir Unterstützung. Einen fähigen Magier, Ruhe, Vorbereitung und gute Planung. In unserer jetzigen Verfassung machte diese Unternehmung keinerlei Sinn. So begaben wir uns auf den Rückweg nach Borbra.
Erschöpft und völlig zerschlagen kamen wir dort an. Doch nunmehr war das Glück auf unserer Seite: Tarlisin war mittlerweile aus Anchopal zurückgekehrt. Wir erzählten ihm, was geschehen war, große Überzeugungsarbeit war kaum zu leisten. Von sich aus bot er direkt an, eine weitere Expedition zu planen, auf welcher er uns selbstverständlich begleiten würde. Wir erholten uns 3 Tage (ich vermied in dieser Zeit den Kontakt mit Sharim, doch begann sich mein Verdacht zu erhärten, das seine missliche Lage weniger arkane Gründe hatte, als vielleicht noch zuerst angenommen, viel eher tippte ich inzwischen, auch nach einer kurzen Examinatio via Odem und Analys ohne seine Kenntnisnahme auf eine fatale Mischung aus Hybris und Idiotie) und begaben uns dann auf dem Weg, den uns bereits Mara geführt hatte, zu dem kleinen Flusslauf, von welchem wir nach einigem Suchen auch den Weg durch die Klamm in das geheime Tal finden sollten.
Im Turm erkundeten wir, deutlich vorsichtiger als vorher, alle Gänge. Wir waren mit einer guten Menge Lampenöl ausgestattet, hatten Fackeln und Öllampen, sowie zwei Magier, die der elementaren Feuermagie gegenüber eine gewisse Affinität aufwiesen. In vielen Kammern, die wir nunmehr, auch bei der Untersuchung jenes Gebiets, zu welchen die eingestürzte Treppe geführt hatten, vorfanden, lasen wir Botschaften der Rache an den Wänden, mal besser, mal schlechter erhalten, ein kurzer und einigermaßen repräsentativer Auszug sei hierbei meiner Erinnerung nach wiedergegeben:
Möge alles, was du berührst, sich gegen dich richten. Mögen Fäulnis und Verderben deinen Leib befallen. Mögen Fliegen von deinen Augen trinken und Kakerlaken dich von innen hinaus verzehren. Möge dein Name mit Schande und Schmach übergossen werden und dem Vergessen anheim fallen. Mögest du niemals Ruhe finden und Qualen leiden bis in alle Ewigkeit.
Zusammen mit dem längeren Textfragment, welches wir beim letzten Mal gefunden hatten, ergab sich damit das Bild eines vom Hass auf den Verrat seines Anführers Assarbad Zerfressenen. Ein Psychogramm, welches mich aus der Perspektive des Seelenheilkundigen heraus tief beeindruckte und mich fast wünschen ließ, einmal mit Enqhirtas-Zaphersisha Almadin zu reden, alleine schon wegen der Similiarität der Namen.
Als wir uns jedoch daran machten, über die zerstörte Treppe in die Krypta einzudringen, gefielen mir Intensität und Lautstärke des Gekrabbels, welches ich hier vernehmen konnte, gar nicht. Deutlich stärker war es im Vergleich zu unserem letzten Besuch geworden, wir schienen die Käfer aufgescheucht zu haben. Nein, das gefiel mir beim besten Willen nicht, doch fasste ich mir ein Herz und schritt gemeinsam mit Tarlisin und Dschelef voran.
Schließlich kamen wir zu dem Raum, der Sharim fast das Leben gekostet hatte. Die Anzahl an Käferameisen hatte sich bis hierher drastisch erhöht und der Raum barst schier von ihrer bloßen Masse, doch zwei gut gezielte Ignifaxii garantierten uns einige Sekunden, die wir unumwunden nutzten, um zügigen Schrittes das andere Ende des Raumes zu erreichen.
Ich hatte das Gefühl, dass wir nunmehr dem Ziel ganz nahe sein mussten. Meine Intuition sollte sich als richtig herausstellen. Am Ende eines langen Ganges lagen sie, in einer schlichten Kammer vor uns: Drei Gräber. Steinsakophage. Drei nebeneinander. Drei Frauennamen. Dahinter die imposante Statue eines Kämpfers, auf einem Bein kniend, den Krummsäbel schräg vor sich haltend. Racheschwüre auf Urtulamidya an den Wänden rundeten das Bild ab.
Einige Käfer waren uns gefolgt und bewegten sich nunmehr über die Gräber, was der Szenerie etwas geradezu widerwärtiges, targunitothisches verlieh. Verfall lag in der Luft.
Dann plötzlich erhob sich die Statue aus ihrer knienden Position und sprach zu uns.
"Wer verlangt Zugang?", tönte es donnernd aus der steinernen Kehle des Golems.
Aus den Augenwinkeln sah ich, dass immer mehr Getier an Wänden, Boden und Decke in den Raum krabbelte.
Niemand regte sich.
Außer mir.
Was auch immer mich dazu trieb (War es Mut, Dummheit, Wahnsinn?), ich trat vor und ergriff das Wort. Redete. Davon, dass Assarbad mein Feind sei. Er auch mich betrogen hätte. Dass ich alleine der Vollstrecker der Rache Enqhirtas-Zaphersisha Almadins sein könnte. Dass Aequitas Zeforika Tenebraez sein Werk vollenden würde!
Was ich da eigentlich erzählte, erschloss sich mir erst, während die Worte meine Lippen verließen. Es war bizarr, wie mein Hirn aus den gegebenen Informationen Aussagen; Worte und Sätze generierte, ohne mein Bewusstsein an diesem Prozess teilhaben zu lassen.
Der Golem nickte und trat zur Seite. Hinter ihm befand sich ein weiterer, ein letzter Durchgang. Mehr Käfer kamen von hinten. Ich trat hindurch. Dort war er. Der Sarg. Sein Sarg.
Alles weitere geschah wie im Traum: Ich öffnete ihn und wusste doch, was ich dort finden würde. Das Kophta-Szepter. Es war eigentlich untypisch, damit bestattet zu werden, doch erschien es mir in diesem Moment nur logisch, es hier liegen zu sehen.
Ich nahm es und ging. Verließ den Tempel. Sah noch, wie die anderen sich gegen die Heerscharen von Insekten zur Wehr setzten. Feuerzauber woben und mit Lampenöl warfen. Es war mir so gleich. Wieso ich dies nun überlebte – ich weiß es nicht. Doch ich hatte ein Kophta-Szepter. Nicht irgendeines, nicht kaputt oder geschwächt. Das des Enqhirtas-Zaphersisha Almadin.
Ich spürte seine Macht, als ich immer weiter vom Tempel wegrannte. Hatte ich einen Attributo gewirkt, um meine Geschwindigkeit zu erhöhen? Ich wusste es nicht. Doch ich wusste, dass ich einen Schatz gefunden hatte, den ich nie wieder loslassen würde.

Es überkommt mich immer ein Schaudern, wenn ich an diesen Moment vor gut zwei Wochen zurückdenke. Fiebrige Erregung ergreift von mir Besitz und ich wünsche mir nichts lieber, als das Szepter zu analysieren und seine Geheimnisse zu ergründen... doch aktuell stoße ich mit meinem bescheidenen Fähigkeiten der Magica Clarobservantia hierbei auf Koschbasalt. Die Dekonstruktion der Geheimnisse dieses unglaublichen Fundes wird wohl noch bis zu meinem Zweitstudium in Punin warten müssen. Doch wenn das Szepter dort halten mag, was es mir zu versprechen scheint, ist mir nicht nur der Magustitel sicher: Die Akademien werden sich nur so um meine Fachkompetenz reißen und die Basiliusprüfung scheint von da an auch in greifbare Nähe zu rücken... Doch nun begebe ich mich wohl, wie sagt der Mittelländer gleich so hübsch? „In Borons Arme“. Ich möchte nur ungern Augenringe riskieren.


20. Ingerimm 1010 BF 2. Efferd 1011 BF