Aequitas' Diarum: 16. Peraine 1010 BF

Aus Die Sieben Gezeichneten
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Endlich wieder an meinem eigenen Schreibtisch sitzen... welch Luxus. Unter dergleichen Umständen arbeite ich dies Convolut nur allzugern weiter aus. Hierbei habe ich über die letzten Tage hinweg den Entschluss gefasst, die Geschehnisse in Gareth nur kurz zu umreißen und von dort aus die unrühmlichen Umstände, unter denen ich mein letztes und erstes (in exakt dieser Reihenfolge) Conscriptum abfasste, zu explizieren. Doch ob ich mich nicht dabei wieder nur in elender Schwadronei verquase, ist wohl noch nicht abzusehen.
Mein Plan war, zuerst einmal in eine günstige Position zu kommen, um die Akademie näher kennenzulernen. Welche Eingänge gab es? Wo waren die Wachen platziert? Gab es leicht zu controllierende Subjekte?
Von Anfang an fiel der von Feiglingen, Dummköpfen und Kleingeistern als „ehrlich“ titulierte Weg, einfach in Verhandlungen mit der Akademie zu treten in Anbetracht der Gefahr einer Ablehnung und der Tatsache der unangenehmen Aufmerksamkeit, die dies auf mich lenken würde, aus. Zudem wäre das stillos. Ich hatte nicht ohne Grund nur die Erstattung von Reisekosten und Spesen und kein Budget für hochfliegende Handelspläne in Aussicht gestellt bekommen, immerhin ging es hier nicht um eine Reise zu den Krämern des Dracheneis zu Khunchom: Das waren Weißmagier, ausgebildet an einer Reichsakademie. Dumm, borniert und eingebildet, das sicherlich, gefährlich blieben sie nichts desto trotz. Schon der Versuch mit ihnen zu verhandeln hätte unter Umständen schlimme Folgen für mich haben können, wenn in diesem Reiche schon ein Nicht-Gildenangehöriger und sei es auch irgendein wahnsinniger Kaiser und selbsternannter Halbgott (welch eitle Kindereien) die Marter des schrecklichen, mittlerweile in die Geschichte eingegangenen Scharlachkappentanzes über einen edlen Forschergeiste verhängen mag. Nein, hier war jede Verhandlung zweckloser als Saldor Foslarin zu überreden zur Magierphilosophie zu konvertieren, aber wohl mit einem ähnlichen Risiko behaftet.
Einen Gasthof oder ähnliches im Sichtkreis der Akademiegebäude gab es nicht, wie ich zu meiner Verstimmung feststellen musste. Bei meinen sonstigen Recherchen und Percontarien stellte ich jedoch ein Faktum von gänzlich anderer Relevanz fest: Ein Ritterturnier ward ausgerufen und die nächsten Tage würden der lustgen Recken gar viele die Stadt bevölkern! Bei Amazeroth, es hatten sich wohl alle Mächte gegen mich verschworen. Denn mag es ein uninteressantes Ereignis, eine größere kulturelle Entgleisung, eine bessere Gelegenheit der plumpen Zurschaustellung plumper körperlicher Kraft geben? Den Krieg, gut, aber ich möchte mich nur ungern in der Philosophica politeia verlieren, immerhin hatte dieses Ereignis ein gutes, wie sich herausstellen sollte sogar zweierlei: Ersterdings wollte ich es gar nicht glauben, als man mir sagte, dass die Akademiemagier ihre Fähigkeiten zu nutzen gedachten, um einen „fairen und rondragefälligen Kampfe ohne allerley magische Beeinflussung“ zu gewährleisten! Gut, manche Leute wollen das Konzept der Würde einfach partout nicht verstehen, aber das sollte mir in diesen Tagen einmal ausnahmsweise egal sein: Die Akademie wäre so gut wie leer und ich könnte mir irgendeinen dieser Tölpel auf dem Turniergelände suchen und ihn in einer dunklen Ecke imperavieren, um mir das Weiße Auge zu bringen! Bis die Wirkung verstrichen wäre, hätte ich die Stadt längst wieder Richtung Fasar verlassen. Genial und narrensicher, aber letztlich sollte es doch ganz anders kommen.
Das zweite hingegen war deutlich weniger sinistrer Natur, als es die Pläne, meinen Auftrag umzusetzen im Auge einer objektiven Rechenschaftslegung wohl waren: Ich lernte Abadi da Merinal kennen, Sohn einer Familie adliger Artisten aus dem Horasreiche. Ich weiß garnicht mehr, was es war, nachdem ich mich tatsächlich überwunden hatte und mein Zelt auf Parkwiese vor dem Turnier aufgebaut hatte, um näher am Geschehen statt in einem warmen Bette zu sein und ich nach einem kleinen Flussbad mit anschließender Rasur noch einen Spaziergang machte. Ich weiß auch gar nicht mehr, ob ich nicht in meiner Erinnerung die Chronologie komplett verdrehe, aber auf jeden Fall weiß ich, dass mich seine Augen faszinierten. Er war acht Jahre jünger als ich und wusste ausgesprochen gut, was eine habitualisierte adelige Herkunft in Kombination mit schlichtweg dreist perfekten Gesichtszügen und einem nicht zu leugnenden Charme bei der Damenwelt zu bewirken in der Lage war. Ich wusste, nachdem ich ihn eine viertel Stunde lang intensiv gemustert hatte, wie sehr ihn dies langweilte. Ausgezeichnete Voraussetzungen für einen schönen Abend und eine sehr angenehme Nacht rahjatischer Freuden (und ich rede nicht nur vom Weine), der eine Wiederholung nicht schlecht zu Gesichte stünde. Oh, ja, in der Tat nicht.
Letztlich relevanter für mein weiteres Fortkommen und unter Umständen auch für die Entwicklung meiner weiteren Lebensbahn dürfte jedoch die Begegnung mit zwei Herren gewesen sein, einer davon ein männlicher Sharisad, „ein Zaubertänzer also.“, wie ich schnell feststellte, was ihm aber gar nicht zu gefallen schien, so schnell wie er mich Schweigen hieß. Ein sympathischer Zeitgenosse namens Sharim, den das Turnier, zu welchem, ich gebe zu, dass mir dies nicht bekannt gewesen war, aber wohl kaum ausreichte um eine Revision meines vernichtenden Urteils herbeizuführen, auf Grund seines Tanzwettbewerbes nach Gareth gelockt hatte.
Ich weiß oftmals nicht wirklich, was ich von fremden Magietraditionen halten soll und insbesondere diese traurig-degenerierte Form der alten Künste der Mudramulim, welche sich heute Zaubertänzerei schickte, hatte mir aus den Berichten, aus denen allein sie mir vor dieser Begegnung bekannt gewesen war, immer einen etwas merkwürdigen Beiklang. Ich gestehe den Söhnen Sumus, den Elfen, den Töchtern Satuarias (denen meine Feindschaft gilt, aber dazu irgendwann später einmal mehr) und selbst den verhassten Echsen zu, arcane Matrizen auf faszinierende Weise weben zu können und dabei den einen oder anderen spannenden Effekt zu erzielen, der selbst auf dem Gebiet ordentlicher Magie bisher nicht erreicht werden konnte, aber Tanz? Wäre nicht selbst ein reiner Magiedilletant besser daran, seine Astralkraft rein instinktiv zu verströmen als durch Tanz?
Nun, die Vorführungen die Sharim in den nächsten Tagen lieferte, belehrten mich zweifelsohne eines Besseren. Insbesondere die stark beeinflussende Komponente seiner Tänze, welche die natürlichen Resistencen des menschlichen Geistes gegenüber der Magica Controllaria komplett zu umgehen scheinen, sind einer genaueren Analyse wert, sofern ich dazu nach meinem intensiven Studium der Magica Clarobservantia in Punin, welches ich immernoch plane, die Gelegenheit fände.
Die zweite, durchaus faszinierende Figur, war nun ein gewisser Yerodin, der mich, wie mir kaum entgehen konnte, bereits seit meiner Ankunft am Turnierplatze unauffällig zu beäugen schien. Der Zufall wollte es, dass uns letztlich eine dritte Person zusammenbringen sollte, bei der es sich um einen der wiederum von mir im Auge behaltenen Weißmagier handelte, einen Stümper, den ich für meinen Imperavi Handlungszwang im Auge hatte und welcher zu diesem Zeitpunkt noch auf den Namen Perdan von Rosshagen hörte. Als dieser nämlich einem Boten ein seltsames weißes Pulver übergab, deutete alles darauf hin, dass er sich, nur für mich, Matt gesetzt hatte. Mein Verdachtsmoment, dass es sich bei diesem Pulver um irgendeine Substanz handeln musste, die, am besten noch im Zusammenhang mit dem Turnier, irgendwelche Auswirkungen zeitigen könnte, für die ein Weißmagier nicht zur Rechenschaft gezogen werden wollte, würde ihn erpressbar und mich sehr glücklich machen, weswegen ich zur Verfolgung des Boten ansetzte, und dabei anscheinend nicht allein war, denn, in der Tat, Yerodin folgte mir anscheinend, auch er fand die Sache seltsam. Nachdem ich dem Boten entlocken konnte, was ich wollte und er meinen Verdacht vollumfänglich bestätigt hatte, woraufhin er mit einer gnädigen Amnesie belohnt wurde, spannte ich diesen Yerodin für mein Anliegen ein, denn er sah nicht so aus, als wäre er nicht käuflich. Ich setzte vielleicht etwas zu hoch an, 100 Dukaten, was immerhin auch für mich einem Viertel des Jahressalärs entspricht, aber sei es drum, ich durfte kein Risiko eingehen und mir stand gerade nicht der Sinn danach noch jemanden über längere Zeit gefügig machen zu müssen. Da kann Geld manchmal deutlich einfacher sein, vorallem, wenn man es jemandem nur in Aussicht stellt, denn natürlich hatte ich die 100 D nicht dabei, sondern würde sie über die Spesen abrechnen, was zur Folge hätte, dass ich mich bis nach Hause immerhin einer kleinen Begleitung erfreuen könnte. Damit konnte die Jagd auf diesen Rosshagen also so richtig losgehen und sie da, das tat sie auch.
Wir verfolgten ihn und stießen auf einen Kontakt zu einer befremdlichen Hellseherin, im konkreten Fall jedoch in der denkbar unmagischsten Variante, der es letztlich um nichts anderes als das wertvolle Geld irgendwelcher Leichtgläubiger ging. Ich vermutete zuerst eine Liaison (auch das hätte sich vortrefflich gegen ihn verwenden lassen), doch ein kleiner Bannbaladin, nachdem Rosshagen das Zelt verlassen hatte, belehrte mich eines Besseren. Ein Brevier sollte jemanden durch sie untergeschoben werden und zwar niemand geringerem als einem gewissen Dexter Nemrod, welcher mir aus meiner Erinnerung heraus nur noch dunkel präsent war. Trieb er sich vor acht Jahren irgendwo im Dunstkreis des Kaiserhofes herum und bekleidete dort irgendwelche unbedeutenden Weihen, hatte er es mittlerweile bis zum Inquisitor der Praioskirche geschafft. Eine Verschwörung gegen einen Praios-Hochgeweihten, soso. Unter dergestalten Umständen erschien es mir fast als Verschwendung, diesem Weißmagier Steine in den Weg legen zu müssen, aber was interessierten mich irgendwelche Kleinkriege und Fehden der provinziellen Garether Unkultur? Ich würde meine Kräfte schonen und ihn am nächsten Tage irgendwo gemeinsam mit Yerodin stellen und via Imperavi meinen Willen aufzwingen. Ich würde das Auge haben und könnte schleunigst heraus aus der Stadt und zurück an meinen geliebten Schreibtisch. Aber bis es soweit kommen sollte, würde wohl noch einige Zeit vergehen. Nun denn, am Abend stellte sich jedenfalls, als ich eigentlich im Sinne trug die Nacht mit Abadi zu verbringen, heraus, dass der Zaubertänzer Sharim und mein gedungener Gefährte ebenfalls miteinander bekannt waren. Aber als ob das nicht bereits ausreichte, stellte sich heraus, dass wir in Sharim einen weiteren Genossen gefunden hatten, der eine Rechnung mit von Rosshagen zu begleichen hatte! Er erläuterte mir auch die Zusammenhänge, aber eigentlich hatte ich an diesem Abend anderes zu tun, hörte dementsprechend nicht weiter zu und entschuldigte mich bei erster sich bietender Gelegenheit. Die Nacht wurde dann auch recht kurz, aber nicht minder regenerativ.
Am nächsten Morgen machten wir uns auf den Weg, Rosshagen zu dritt das Handwerk zu legen. De facto wäre dies mir natürlich auch alleine möglich gewesen, aber man kann kaum leugnen, wie unglaublich praktisch es ist, wenn jemand das Zappeln des Testsubjekts durch rigorose Fixierung unterbindet, während ich die astralen Matrizen zu einem Gesamtkunstwerk, welches seines Gleichen sucht (was wohl im Falle des Imperavi kaum übertrieben ist) verwebe.
Als es dann schließlich soweit war, verlief auf den ersten Blick alles nach Plan: Wir fingen Rosshagen in einer Pause des Wettbewerbs ab, verwickelten ihn in ein kleines Gespräch (ich hatte mich selbstverständlich bereits in die weiße Robe geworfen und den Bart präpariert, den Yerodin mir beschafft hatte), drängten ihn in eine dunkle Ecke, dann jedoch entglitt mir die Situation in geringem Maße. Ich hatte nicht damit gerechnet, auf außergewöhnliche Widerstandskräfte zu treffen, ein Magier, der nicht gezielt darauf hinarbeitete und seinen Geist durch drastischste Meditationstechniken zu fokussieren lernte, die selbst ich mir noch nicht bis zu ihren höchsten Weihegraden hatte antun wollen, war in den meisten Fällen kaum doppelt so schwer zu beherrschen wie ein tumber Bauerntölpel. Mit anderen Worten: Er bricht unter meinem Willen ohne jedes Problem. Aber dieser Magier schien nicht nur von Natur aus über eine gesunde Abwehr zu verfügen: Ich spürte ganz klar die eisenharten Wälle um seinen Geist, an denen ich abzuprallen drohte. Ein Duell entspann sich, keines, wie es Magier in den Geschichten aus tausend und einem Rausch abhalten, voller Ignifaxii und Invercanae, nein, das hier war ein reines Duell der Geistes- und Willenskraft. Blanke, rohe Astralkraft bildete geformt durch meinen Willen ein tödliches Element, welches Welle um Welle gegen die Mauer im Geiste des Magiers schlug. Eine kühne Metaphorik, spielte sich doch das meiste auf einer Ebene ab, die meinem Bewusstsein entzogen war, doch trifft sie das Geschehene. Nach einer Ewigkeit, die für meine Gefährten wohl nur einer oder zwei Sekunden gleichgekommen sein muss, hatte ich seine Verteidigung (die im Übrigen, welch wohlberechtigte Paranoia!, auch noch einen Psychostabilis umfasste, wie ich in der Retrospektive annehmen muss) zerstört, seinen Geist überrannt. Er war meinem Willen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Doch was tat ich? Ich missachtete das, was jedem Scholaren eingebläut wird, wieder und wieder. „Formuliere deine Befehle eindeutig! EINeindeutig!“ Ein gutes halbes Jahr habe ich mich mit Syntaktik, Semantik, dem formalen Aufbau einer Sprache und natürlich der Logik (was jedoch letztlich für das Verständnis der analytischen Philosophie Rashman Alis unabdingbar war) herumgeschlagen! Wofür? Um in diesem Momenten einen kapitalen Fehler zu machen und im Ungenauen zu bleiben.
"Sorg dafür, dass wir Stadt und Akademie mit dem weißen Auge sicher verlassen!"
Ich sah bereits sein feistes Grinsen, als ich meinen Fehler erkannte. Bevor ich noch einen Satz sagen konnte, hatte er sich mit den Worten „Ich werde veranlassen, dass die Armati den Hinterausgang in zwei Stunden räumen, das Auge ist in der dritten Asservatenkammer, der Schlüssel dazu ist in der rechten Schublade unter meinem Schreibtisch!“ aus dem Staub gemacht.
Bei den Niederhöllen, nun galt es also, das Auge selbst zu besorgen. Und wer wäre ich, wenn ich mich nicht auch dieser Aufgabe stellen würde. Yerodin hatte, nachdem ebenfalls mit einer weißen Robe ausgestattet, die Güte, mich zu begleiten. Es war... ein Erlebnis. Eines, mit dem man in den richtigen Kreisen bei einem Glas gut gewogenem Yaquirtaler durchaus Eindruck schinden kann, aber keines, welches man allzu oft erleben möchte. Ich bin für Heimlichtuerei und Geschleiche nicht geschaffen, daraus mache ich keinen Hehl, nur mit Mühe und Not gelang es mir die Nervosität zu unterdrücken, als ich gemeinsam mit Yerodin durch die Gänge der Akademie eilte, die Kapuze der Robe tief ins Gesicht gezogen und tausendmal verfluchend, den Impersona oder den Ignorantia nicht zu beherrschen. Zumindest den Widerwille konnte ich einigermaßen anständig wirken und dieser sollte dementsprechend auch Kernstück meines Plans sein, das Auge aus der Akademie zu schmuggeln.
Wir hatten Glück. Es war in der Tat ein leerer Tag, der Großteil der Magister und Scholaren schien auf dem Turniergelände zu weilen und selbst als mir das Herz stehen blieb, da ich sah, dass der sicherste Weg zu Rosshagens Zimmer und damit zum Schlüssel über ein Dach führen sollte (welch Widersinn!), blieben wir ungesehen und ich ließ mich zu keiner Dummheit verführen. Von dort in die „Asservatenkammer III“ zu kommen, war dann fast ein Kinderspiel, doch was musste ich feststellen? Assvervatenkammer war wohl kaum das richtige Wort, dass hier war eine Rumpelkammer voll zerstörter und Funktionsunfähiger Artefakte! Das verhieß nichts gutes, aber zumindest war das Auge nach kurzer Suche gefunden. Und daneben etwas ungleich interessanteres. Ein Szepter. Ungefähr 60 cm lang, mit einer Art Schädel besetzt. Könnte ein Raubvogel sein. Das Material ließ auf abgeschliffenes, extrem altes, aber beständiges Holz schließen, welches sich durch eine gewundene Maserung auszeichnete. Konnte es sein? Egal, ich war nicht bereit das Risiko einzugehen, ein echtes Kophtanhim-Szepter hier bei diesen Kleingeistern im Müll verwittern zu lassen!
Widerwille auf Auge und Szepter waren schnell gewirkt, an den nun folgenden Rückweg jedoch habe ich keine Erinnerung mehr. Dass, was an seinem Ende passierte, spottete ohnehin jeglicher Beschreibung und erschien mir aus der Situation heraus schlichtweg surreal: Eine Kutsche mit schlingernder Bewegung fuhr enorm schnell auf der Straße vor der Akademie direkt auf Yerodin und mich zu, bremste und hielt an. Noch in den letzten Fahrtbewegungen sprangen zwei Gestalten aus ihr heraus: Ein seltsamer Mann mittleren Alters, der mir vage bekannt vorkam zerrte ein junges Ding hinter sich her und bedrohte sie mit seinem Schwert. Nun sprang Sharim, ja der Zaubertänzer!, welcher sich an der Rückseite der Kutsche festgehalten haben musste, von selbiger ab und bewegte sich auf das ungleiche Paar zu. Der Mann rief irgendetwas, was mir nicht erinnerlich ist, doch schon war der Sharisad mit gezogenen Säbeln hinter ihm (wie war er dort hingekommen?!) und rammte ihm beide in den Rücken, zog einen von ihnen wieder heraus und stach erneut mit enormer Wucht zu. Der Mann war auf der Stelle tot. Das war kein Kampf, das war eine Hinrichtung.
Statt Zurückzugehen, verstärkten sich die Irritationen von hieran jedoch noch weiter, denn plötzlich lag eine weiße Robe neben mir und ich sah Yerodin mit einer übermenschlichen Geschwindigkeit Richtung Turnierplatz rennen. Axxeleratus Blitzgeschwind? Ich hatte das magische Potential dieses Burschens nur kurz überprüft und augenscheinlich unterschätzt. Aber als ob damit nicht mein Hunger auf Überraschungen für diesen Tag gestillt gewesen wäre, schickten sich nun drei Pferde an, auf den Platz vor der Akademie zu preschen, sie hatten die Kutsche anscheinend verfolgt. Es handelte sich bei ihren Reitern um niemand geringeren als drei der Geschwister meiner noch so jungen Bekanntschaft von letzter Nacht, welche mich und Sharim mit energischen Gesten zum Aufsitzen aufforderten. Ich tat wie mir gehießen (im Bewusstsein des Reitens unkundig zu sein) und warf einen letzten Blick auf die Leiche des Mannes und mir erschloss sich mit einem Male, dass es sich hierbei um einen gewissen Mersingen handelte, zu dem die Substanz, welche ich gestern dem Boten Rosshagens abgenommen hatte, ursprünglich geliefert werden sollte! Irgendwie passte das ins Bild, aber ich hatte gerade absolut keine Lust, die einzelnen Puzzleteile zusammenzusetzen, um selbiges zu verstehen. Auge und Szepter an mich pressend (das Pferd folgte den anderen, ich brauchte mich nur im Sattel zu halten) ritt ich so dem Turnierplatz entgegen, wo nunmehr Yerodin, Sharim und ein mir unbekannter Ritter, bei dem es sich, wie ich später herausfinden sollte um Leomar von Drachenstein handelte, sich anschickten Rosshagen zu erledigen. Ich hätte mich liebend gerne angeschlossen, um dadurch einen der wenigen Zeugen, die von meiner Tat zu berichten wussten, auszuschalten, aber zuerst mussten die Artefakte securiert werden.
Wie sich herausstellte, wäre das auch bitter nötig gewesen, denn diese imkompetenten Heldenvögel schafften es natürlich, Rosshagen nicht umzubringen, sondern nur in einen Zustand zu versetzen, in dem ihn die herrschende Staatsgewalt ohne weiteres mitnehmen konnte und dies auch zu tun gedachte. Sie dabei in irgendeiner Form aufzuhalten erschien mir in Anbetracht meiner gegenwärtigen Erschöpfung und der Leere meines Astralkörpers müßig. Verflucht, einer meiner Zeugen hatte überlebt und der würde singen, da ging ich jede Wette ein. Gut, ich hätte einfach fliehen können, wenn ich zurückblicke wäre das sogar das sinnvollste gewesen, aber wie ich erfuhr, war eine Gratifikation und Belobigung jener „wackeren Abenteurer“ angedacht, die diese Verschwörung, die wie ich ganz richtig geschätzt hatte, in diesen beiden nun mehr unschädlich gemachten Conspiraten ihren Kern gehabt hatte, aufgedeckt hatten. Dies sogar vom Kaiser höchst persönlich.
Es liegt auf der Hand, dass mir dies grundsätzlich vollkommen gleichgültig wäre, wenn sich die Insignien, die zu solchen Anlässen gerne einmal verteilt werden, nicht so schön unter dem Schreibtisch neben dem Rohalsmal machen würden und auf den Festen, zu denen man unter diesen Umständen gerne eingeladen wird, nicht häufig mit exquisiter Kost zu rechnen ist. Auch wenn die Chance dafür prozentual gering ist, bestünde theoretisch auch die Möglichkeit unter all dem anwesenden, inzuchtgeschädigten Gezücht der herrschenden Klasse dieses Feudalsystems, welche sich Adel schimpft, den einen oder anderen interessanten Kontakt zu finden, vielleicht sogar einen Standesgenossen, dessen Horizont über die Grenzen einer engstirnigen Weltsicht ala weißmagischer Prägung hinausgeht, aber hier fange ich nun wirklich an zu fabulieren.
Und zugegeben, das Gedächtnis dieses Magiers zu manipulieren erwies sich, auch wenn ich nur ungern erneut des Nächtens durch Gänge schlich, als eine Fingerübung. Er lag im Koma, ein Zustand, in welchem selbst die naürliche Resistenz gegenüber magischen Einflüsterungen dankenswerter Weise nahezu brach liegt und so ließ ich mir auch den Spaß nicht nehmen, ihm noch einige andere Erinnerungen auf nette Weise leicht zu modifizieren. Ja, der gute Mann wird in den nächsten Monaten, bis das ganze verblasst, viel Spaß haben und dann haben sich die Traumata wahrscheinlich ohnehin schon tief in sein Unterbewusstsein eingegraben und dann muss er viel Geld ausgeben, um bei irgendeinem horasischen Seelenheilkundigen seine etwaige Inkontinenz loszuwerden. Wenn ich es denn richtig gemacht habe. Aber ich arbeite daran meine Fähigkeiten im Cantus Memorabia stetig zu verbessern.
Am Nachmittag des darauffolgenden Tages gab es eine Audienz beim Kaiser. Zu meiner Enttäuschung ohne Devotionalien zum Mitnehmen und Aufhängen oder Hinstellen, aber das würde sich unter Umständen noch ändern können. Nachdem wir eine abgestimmte und drastisch beschönigte Variation der Geschichte erzählten, welche sich tatsächlich abgespielt hatte (wir hatten nur wenig Zeit zur Absprache gehabt, die verfluchten Praioten hatten Sharim in die Mangel genommen und er war erst kurz vor dem Gespräch wieder aufgetaucht und was von diesem Krieger zu halten sei, ließ sich nur schwer einschätzen, weshalb für die Details nur Yerodin übrig blieb), die von den Verantwortlichen, welche sich um den Thron dieses wirklich bemerkenswert uncharismatischen Herrschers platziert hatten und seiner Majestät selbst mit Nicken und gelegentlichen Zwischenfragen quittiert wurde. Meine Gedanken schweiften immer wieder dahin ab, dass dieses Bürschchen damals wirklich die Macht besessen haben sollte, einen der größten Magier unserer Zeit zu demütigen, wie es wohl lange niemand vor und nach ihm mit einem Mitmenschen getan hatte. Befremdlich, aber letztlich egal, mir würde das nicht passieren. Als wir abgeschlossen hatten, brachte Leomar sein Ansinnen vor, was ihn ursprünglich überhaupt erst nach Gareth geführt hatte: Beistand gegen die Orcs in den Grenzregionen seiner Heimat. Am Abend sollte es dazu eine Bekanntmachung geben.
Ansonsten, das in facto gegebene Fest war eine Enttäuschung. Gut, ich lernte Leomar einmal näher kennen: Auf den ersten Blick die Karikatur des leichtgläubigen Garether Hinterwäldlers, zeigte sich, dass er durchaus ein netter Kerl zu sein schien. Aufgeschlossen, nicht verbohrt, einfach nur durch das Unglück einer fragwürdigen Sozialisation im Walde gezeichnet. Denn da kam er her, keine Ahnung, wie genau die Ortschaft heißt, über die er im Falle des Ablebens seines Vaters herrschen darf, aber seinen Worten nach ein gefährliches Pflaster, welches immer wieder unter Angriffen von Orks zu leiden hatte.
Jemand, den ich lange nicht mehr gesehen hatte, war Helme Haffax, der wohl inzwischen zu etwas wie dem obersten Zeugwart abgestiegen war, jedenfalls galt es, sich an ihn zu wenden, wenn ich meine Aufwendungen für die letzten Tage (immerhin war ich ja „für das Reich“ unterwegs gewesen, versteht sich) erstattet sehen wollte und das wollte ich definitiv, denn hier schien sich mir eine exzellente Gelegenheit zu bieten, an eine nicht allzugeringe Summe zu kommen. Ich forderte umgerechnet Zweieinhalb Monatsgehälter („Bestechungen“ sind eben teuer), diese wurden mir ohne weiteres bewilligt. Gut zumindest pekuniär war der Abend ein Erfolg.
Und Abadi schien Spaß zu haben. Ja, ich hatte ihn natürlich mitgenommen, eine kleine Provokation gegenüber dem heteronormativen Establishment. Niemand hatte damit ein direktes Problem (wäre ja noch schöner), aber in diesem speziellen Punkte sind mir die Sitten und Normen meiner Heimat ganz besonders lieber als die des verkommenen Raulschen Reiches. Insbesondere der Tanz, den der Sharisad Sharim hinlegte, faszinierte ihn ungemein, wie auch den Rest des Publikums und, ja ich gebe es zu, durchaus auch mich. Die vitalisierende, leicht aufputschende Wirkung war durchaus angenehm zu beobachten.
Gerade bevor das Essen serviert werden sollte, auf welches ich schon seit einer geraumen Weile wartete, betrat der Kaiser eine Bühne des Festsaals und machte einige Verkündigungen, der Großteil betraf die Ehrung der Turniersieger, zu welchen sich anscheinend alle meine neuen Gefährten zählen durften. Einer der wenigen Momente, in denen man das Streben nach derlei Tand wie einer Sportauszeichnung doch fast verstehen kann. Dann jedoch kam der wahrhaft interessante Teil: Es ging um die Verschwörung und damit um uns. Er fasste die Ereignisse (dankenswerter Weise in unserer redigierten Fassung) zusammen, dankte uns und leitete von dort zum Anliegen Leomars über. Ich rechnete nun mit dem, was man von einem Kaiser in einer solchen Bedrohungssituation erwarten dürfen sollte. Bedrohung für das ganze Reich blabla, Lehenstreue blabla, tapfere Streiter für das Gute blabla... Doch was tat dieser Narr von Kaiser, über den die Gerüchte anscheinend nicht ohne Grund sagen, er sei den Narrativen billiger horasischer Groschenromane verfallen? Ein „magisches Schwert“ soll neu geschmiedet werden! Von niemand geringerem als der Drachenei-Akademie zu Khunchom! Und wer würde so dumm sein, es dorthin zu transportieren? Natürlich wir! Die „Helden“ die sich doch gerade erst bewährt hatten! Mir entgleisten für einen Moment die Gesichtszüge. Dann fing ich mich und wurde der Möglichkeiten gewahr, die dies mit sich brachte: Ich hatte ein kaputtes Weißes Auge und eine Spesenabrechnung. Und würde nicht der beste Weg zu Lande zudem am Gadang entlang direkt durch Fasar führen? Ich musste Lächeln ob des unerhörten Glückes, Phex war mir wahrhaft hold dieser Tage. Sollten sie doch ihr Schwert nach Khunchom bringen, Geleitschutz kann man immer gebrauchen!
Eine letzte, sehr erfreuliche Nacht schloss sich an, bevor wir uns bereits am nächsten Tag daran machten, unsere Besitztümer zu verstauen, um uns auf den Weg zu machen. Ich verabschiedete mich von Abadi, aber wer weiß? Gaukler wandern, man trifft sie immer ein zweites Mal.
Ich packte das weiße Auge in meinen Rucksack, setzte ihn auf und betrachtete meine Gestalt ein letztes Mal im Wasser des Sees, an dem mein inzwischen abgebautes Zeltlager gestanden hatte. Eine weite Reise würde vor uns liegen, worauf warteten wir also noch?

Gute Götter, das ist doch wieder deutlich ausführlicher geworden als beabsichtigt, aber sei es drum. Meine Hand mag ein wenig verkrampft sein, mein Hirn ist es nicht mehr, endlich hat sich mein Stil ein wenig gelockert! Mal sehen, wie schnell ich mit den Chroniken vorankomme, sobald ich sie durch habe, mache ich mit den Ereignissen der Reise bis hierher weiter, Gegenwart, ich hole auf!


20. Phex 1010 BF 12. Ingerimm 1010 BF